«Wir sind heute breiter aufgestellt und noch viel näher beim Kunden»

Diesen Herbst macht die Swiss Automotive Group (SAG) Niederbipp (BE) zum Nabel der Auto-Schweiz: Am 15. und 16. September findet dort die Fachmesse Swiss Automotive Show statt. Auf 2500 Quadratmetern präsentieren mehr als 70 Zulieferer und Hersteller über 120 Marken. AUTOINSIDE sprach mit SAG-CEO Sandro Piffaretti und mit Verwaltungsratspräsident Olivier Métraux.  Reinhard Kronenberg und Sandro Compagno, Redaktion
 
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Gut aufgestellt für die Herausforderungen der Zukunft: Olivier Métraux (links) und Sandro Piffaretti schlossen ihre Firmen Métraux Services SA und Derendinger AG 2009 zur Swiss Automotive Group zusammen. Die bisherigen Marken, ihr unabhängiger Auftritt und das Filialnetz sind erhalten geblieben.
 

Herr Piffaretti, Monsieur Métraux, Ihre diesjährige Hausmesse ist schon heute mehr als doppelt so gross wie die SAA-Fachmesse in Halle 7 am Auto-Salon 2017. Ist das für die SAG ein letzter Test vor dem Ausstieg in Genf?
Métraux: Nein, das ist weder ein Test noch ein Zeichen, dass wir in Genf aussteigen wollen. Wir sehen unsere Hausmesse als komplementäres Angebot.
Piffaretti: Der Auto-Salon in Genf ist eine Institution für die Fahrzeugbranche. Daran gibt es nichts zu rütteln.

Worin liegen für Sie die grössten Unterschiede zwischen der SAA-Fachmesse in Genf und Ihrer Hausmesse?
Métraux: In Genf ist die Ausstellungsfläche beschränkt. Eine Hausmesse bietet uns ganz andere Möglichkeiten. Dank der Ausstellungsstände unserer Lieferanten können wir unser Angebot im Detail zeigen. Wir können auf technische Aspekte eingehen und unsere Dienstleistungen besser darstellen. Sagen wir es so: Genf ist ein Schaufenster, an unserer Hausmesse können wir aber viel tiefer in die Materie eindringen.

Warum sollen Ihre Kunden beide Messen besuchen?
Métraux: Die Kunden kommen nicht wegen uns nach Genf. Das wäre zwar sehr schön, aber die meisten kommen wegen der Autos. Das verschafft uns die Möglichkeit, Kunden zu treffen, die nicht an eine Hausmesse kommen mögen. An die Hausmesse hingegen kommen die Leute alleine wegen uns, um uns besser kennenzulernen. Das sind zwei unterschiedliche Motivationen.
Piffaretti: Die Hausmesse wird die Services ins Zentrum stellen. Das geht in Genf weniger. Wenn einer morgens von St. Gallen nach Genf fährt, nur ein paar Stunden in Genf zur Verfügung hat und dann wieder heimreist, fehlt ihm die Ruhe, sich mit unseren Angeboten wirklich auseinanderzusetzen.
 
Welches sind aktuell die grössten Herausforderungen für die Zuliefererbranche? Und wo liegen sie in Zukunft?
Piffaretti: Die grösste Herausforderung ist die Weiterbildung. Das Metier des Mechanikers verändert sich. Wir stellen fest, dass es Werkstätten gibt, die sehr gute Leute haben und diese im Bereich Diagnose auch sehr gut weiterbilden. Monomarken-Garagen sind hier natürlich im Vorteil. Multimarken-Garagen dagegen sollten noch mehr Zeit in gezielte Weiterbildung investieren und die Angebote unseres Techpools in Anspruch nehmen. Bei den freien Werkstätten bietet sich uns ein sehr uneinheitliches Bild. Leider sehen wir auch Garagen, die kaum Zeit in die Weiterbildung investieren. Das kann dazu führen, dass die Kunden abwandern. Nur: Wir können niemanden zwingen, sich weiterzubilden.
Métraux: Wir verstehen uns auch in dieser Frage als wichtiger Partner des Garagisten. Die Autos werden immer komplexer, das Sortiment an Produkten wird breiter und tiefer. Diese Veränderungen mitzumachen oder sogar zu antizipieren, gehört für mich ebenfalls zu den Herausforderungen.

Die Elektrifizierung des Antriebs bei den Fahrzeugen gewinnt dynamisch an Fahrt. E-Fahrzeuge weisen aber einen deutlich geringeren Wartungsaufwand auf als Fahrzeuge mit einem Verbrennungsmotor. Für Sie als Zulieferer und auch für den Garagisten ist das keine gute Perspektive…
Piffaretti: Wenn es so wäre, ginge ich mit Ihnen einig. Bedenken Sie aber eines: Die Anzahl an Elektrofahrzeugen wird nicht so rasant Oberhand gewinnen wie uns aktuell suggeriert wird. Ein Beispiel: Wenn dieses Jahr zehn Prozent der Neuwagen reine Elektrofahrzeuge sind, dann ist das nur ein Prozent des gesamten Bestandes. Bis mehr Autos mit Elektro- als mit Verbrennungsmotor auf unseren Strassen verkehren, wird es also noch einige Jahre dauern. Kommt dazu, dass der Gesamtbestand an Fahrzeugen nach wie vor wächst.

Sie relativieren diesen Wandel.
Piffaretti: Ja. Natürlich ist es ein Fakt, dass ein rein elektrisch betriebenes Fahrzeug beispielsweise keine Schalldämpfung mehr braucht. Auf der anderen Seite sind die Elektrofahrzeuge schwer und haben eine sehr grosse Beschleunigung, was zu erhöhtem Verschleiss von Komponenten wie Lenkung oder Reifen führt. Ich fahre selber einen Hybrid und mir fällt auf, dass die Servicelampe recht oft aufleuchtet. Ich weiss nicht, ob die Frequenzen in den Werkstätten mit der Elektromobilität nicht sogar zunehmen – sei es, um ein Teil zu ersetzen oder auch nur für ein Software-Update.
Métraux: Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass die E-Mobilität auch sehr viel mit Marketingstrategie und Image der Automobilindustrie zu tun hat. Die Hersteller wollen sich so positionieren. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass weiter am Benzin-Verbrennungsmotor entwickelt wird. Die Fortschritte in den letzten Jahren waren massiv.

Ihre Garagenkonzepte sind faktisch Multimarken-Reparaturwerkstätten. Wie sichern Sie einen möglichst uneingeschränkten Zugang zu den für eine Reparatur nötigen Fahrzeugdaten, wenn die Hersteller gleichzeitig daran arbeiten, diesen Zugang nur noch für ihre Markenvertretungen zu gewähren?
Piffaretti: Das ist eine ganze wichtige Arbeit, die wir an verschiedenen Orten leisten: in den Fachgremien oder auch mit dem Auto-Teile-Ring ATR, wo wir parallel an drei Projekten arbeiten. Wir sehen, dass es bei den Daten ganz klar zu einer Öffnung kommt. Man spricht in diesem Zusammenhang von «Right to repair». Es geht hier darum, zu verhindern, dass der Hersteller respektive Importeur eine Monopolstellung erlangt. Das wollen die Konsumenten sicher nicht. Die Entwicklung geht unserer Ansicht nach in die richtige Richtung. Die Frage, ob man die Daten erhält, ist mittlerweile geklärt. Es stellt sich nur noch die Frage, zu welchem Preis.

Das ist eine gute Nachricht auch für all jene, die sich einem Garagenkonzept anschliessen wollen und nicht sicher sind, ob sie an die nötigen Fahrzeugdaten kommen.
Piffaretti: Absolut. Es ist zentral, dass unsere Werkstattkonzepte diese technischen Daten zur Verfügung haben. Wir unterstützen sie mit Geräten, um das Problem zu identifizieren, mit unserem umfassenden Schulungsprogramm und mit einer Hotline. Hier unterstützen unsere Techniker die ratsuchenden Garagisten.

In einem ersten Interview nach dem Zusammenschluss Ihrer beiden Firmen im Frühjahr 2009 haben Sie beide betont, der Zusammenschluss von Derendinger und der Métraux Services SA sei ein Investment in die Zukunft Ihrer Kunden. Inwiefern hat sich diese Zukunft jetzt verbessert?
Piffaretti: Wir sind mit unserem Produktsortiment und unseren Dienstleistungen heute breiter aufgestellt und damit viel näher am Kunden. Ein breiteres Sortiment heisst auch eine bessere Verfügbarkeit, weil wir heute Produkte im Sortiment haben, die wir früher nicht gelagert hatten.
Métraux: Und die Logistik hat sich für beide Firmen weiterentwickelt. Wir haben hier sehr viel Geld investiert. Das konnten wir nur, weil wir uns zusammengeschlossen haben.
Piffaretti: Ein sehr grosses Investment ist beispielsweise unser Teilekatalog. Wir haben bei Technomag und Derendinger neue E-Shops mit VIN-basierter Suche und Grafiken. Diese Technologien hätten wir standardmässig einkaufen können, aber in diesem Fall hätten ziemlich viele Marken gefehlt. Solche Standardlösungen enthalten nicht sämtliche Marken. Der Zusammenschluss hat uns erlaubt, in diese Shops zu investieren und für einen relativ kleinen Markt eine massgeschneiderte Lösung zu präsentieren.

Für Zulieferer absolut wettbewerbsentscheidend ist die Verfügbarkeit von Ersatzteilen und die Geschwindigkeit, mit der sie geliefert werden können. Ihr Sortiment erstreckt sich über 370 000 Artikel. Logistisch ist das ein Albtraum…
Piffaretti: Ganz im Gegenteil – es ist ein Traum! Und es ist unser Geschäft. (Lacht) Im Ernst: Es ist noch viel schlimmer. Wir führen im Katalog sogar Millionen von Teilen. Diese Angebotskette muss man im Griff haben, aber das ist unser Geschäft. Wenn es morgen nur noch fünf Teile braucht, dann braucht es auch die SAG nicht mehr.
Métraux: Diese Logistik ist das Zentrum unseres Wissens und Könnens. Und wir machen das auch sehr gerne, es ist wirklich kein Albtraum.

Für die Auslieferung der Ersatzteile zu Ihren Kunden fahren sich heute der Derendinger-Bus und jener von Technomag praktisch hinterher. Ökonomisch und ökologisch ergibt das von aussen betrachtet keinen Sinn. Warum tun Sie es trotzdem?
Métraux: Wir tun es, aber nicht ohne permanent nach Synergien zu suchen. Beim Zusammenschluss im Jahr 2009 hatten wir andere Prioritäten. Es ist mittlerweile aber eine Tatsache, dass ein Lieferwagen für beide Firmen fährt – und noch mehr: Matik beispielsweise liefert die meisten Teile über ein Logistikfahrzeug von Derendinger oder Technomag aus.

Zu den Werten Ihrer Firma gehört, dass die Mitarbeitenden «wie Unternehmer denken, entscheiden und handeln». Wie fördert man unternehmerisches Denken bei den Mitarbeitenden?
Piffaretti: Ein ganz wesentlicher Punkt ist, die Entscheidungskompetenz nahe zum Kunden zu bringen. Die Aussendienstmitarbeiter, die Filialleiter und Regionaldirektoren sollen so viel wie möglich selber entscheiden – im Sinne des Kunden, aber auch der Firma. Der zweite Punkt ist, Ziele zu definieren, nicht Handlungsanweisungen. Man muss den Leuten überlassen, auf welchem Weg sie das Ziel erreichen wollen. Der dritte Punkt ist eine gesunde Feedback-Kultur. Wo gearbeitet wird, passieren nun einmal Fehler. Nun darf das Sanktionssystem nicht so gestaltet sein, dass sich die Leute in Zukunft nicht mehr trauen, selber zu entscheiden. Es ist ein Mix dieser drei Grundsätze.
Métraux: Eine kleine Ergänzung: Bei wichtigen Projekten involvieren wir nicht nur unsere Top-Kader, sondern auch unsere Mitarbeiter. Das schafft Engagement und Bindung, was gerade bei der Umsetzung sehr wichtig ist. Es ist dann nicht das Projekt der Chefs da oben, sondern ein Projekt der ganzen Firma. Das hilft enorm bei der Umsetzung.
 

Die Swiss Automotive Show mit AUTOINSIDE
Die AGVS-Medien sind offizieller Medienpartner der Swiss Automotive Show vom 15./16. September in Niederbipp. AUTOINSIDE berichtet in seinen Ausgaben vom September und Oktober auf mehr als 30 Seiten über diesen bedeutenden Branchenanlass. In dieser Ausgabe werden auf den folgenden 16 Seiten die Marken der Swiss Automotive Group sowie die Platinum- und Gold-Aussteller vorgestellt. Im AUTOINSIDE 10/17 erhalten die Silber-­Aussteller ihre Plattform.

Sämtliche Ausstellerporträts sind schon jetzt auf einer eigens eingerichteten Veranstaltungs-Website auf agvs-upsa.ch verfügbar.


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       Sandro Piffaretti                      Olivier Métraux


Piffaretti und Métraux – ganz privat

Welches ist Ihr Lieblingsfilm, in dem ein Auto eine zentrale Rolle spielt?
Métraux: «Le Corniaud», das ist eine französische Komödie aus den 1960er-Jahren mit Louis de Funès.
Piffaretti: Ich mag Bond-Filme. Dort spielen Autos ja auch immer eine Rolle.

Was bereitet Ihnen richtig schlechte Laune?
Piffaretti: Bürokratie.
Métraux: Arroganz und Ungerechtigkeit.

Eignet sich ein Essen für einen Geschäftstermin oder passt Mineralwasser in einem Sitzungszimmer besser?
Piffaretti: Mineralwasser. Bei uns ist das so.
Métraux: Auch in der Westschweiz. Die Zeiten haben sich geändert…
 
Ihr erster Gedanke am Morgen – das Geschäft oder die Familie?
Piffaretti: Das ist eine ganz schwierige Frage. Meine Frau wird dieses Interview lesen und meine Mitarbeiter auch…
Métraux: Einigen wir uns doch auf: je nach Morgen.

 
 
Rückblickend gesehen: Was war Ihre beste Entscheidung?

Métraux: Privat die Heirat mit meiner Frau 1993 und die Entscheidung, eine Familie zu gründen. Geschäftlich war es sicher der Zusammenschluss mit Derendinger.
Piffaretti: Mir geht es genau gleich. Ich bin dankbar, dass meine Frau mich geheiratet hat, und ich bin dankbar, dass ich mit Olivier 2008 dieses Gespräch führen durfte und wir danach gemeinsam die SAG gegründet haben.

Worüber haben Sie zuletzt gelacht?
Piffaretti: Wir haben zu Hause eine 12 Wochen alte Hundewelpe, die ein Riesenloch im Garten gegraben hat. Das sah sehr lustig aus.
Métraux: Kürzlich hatte ich eine Woche Militär mit meiner Kampf-Fliegerstaffel. Wir haben über alte Zeiten geplaudert und viel gelacht.

Wenn man, wie Sie beide, sehr jung eine grosse Verantwortung übernimmt – schläft man da noch gut?
Métraux: Nicht immer. Dass ich nicht immer gut schlafe, heisst nicht, dass wir diese Verantwortung nicht mit grosser Freude tragen. Sonst hätten wir das nicht gemacht.
Piffaretti: Auf die Gefahr, etwas naiv zu wirken: Ja. Wir haben tolle Mitarbeiter und die besten Kunden. Natürlich haben wir auch schwierige Zeiten durchgemacht. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass wir unsere Probleme immer lösen konnten, darum spüre ich grosse Zuversicht.

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