«Es profitieren alle – selbst jene, die nie Auto fahren»

Rösti räumt mit Vorurteilen auf

«Es profitieren alle – selbst jene, die nie Auto fahren»

23. September 2024 agvs-upsa.ch – Ein Ausbau der Autobahnen sei dringend nötig, sagt Verkehrsminister Albert Rösti. Im Interview erklärt der SVP-Bundesrat zudem, warum gerade Links-Grün STEP zustimmen sollte und wie AGVS-Mitglieder von einem Ja profitieren. Yves Schott

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«Wir investieren in den nächsten 20 Jahren insgesamt mehr in die Schiene als in die Strasse»: Bundesrat und UVEK-Vorsteher Albert Rösti. Foto: Anoush Abrar

Albert Rösti, wie oft sind Sie dieses Jahr bereits im Stau gestanden?

Albert Rösti: Puh, schwierig zu sagen … (überlegt) wohl schon dutzende Male, denn ich bin häufig auf der A1 unterwegs. Für die Planung der Termine ist das ein grosse Herausforderung. Wir fahren los und können nicht sicher sein, wann wir ankommen.
 
Kolonnenverkehr nervt wohl alle Autofahrenden – und er hat in letzter Zeit deutlich zugenommen.
Ja. 2023 standen Schweizerinnen und Schweizer total 48'000 Stunden im Stau, in den Jahren zuvor war es deutlich weniger. Das hat mit dem Bevölkerungswachstum und dem gestiegenen Mobilitätsbedürfnis zu tun: Als ich 1967 geboren wurde, lebten in der Schweiz zirka sechs Millionen Menschen, heute sind es neun. Das Autobahnnetz seinerseits wurde in den 60er-Jahren konzipiert und benötigt regelmässige Anpassungen, um das steigende Verkehrsaufkommen zu bewältigen.
 
Wir haben in den AGVS-Medien geschrieben, die Nationalstrassen würden kurz vor dem Kollaps stehen. Eine zugespitzte Aussage oder schlicht eine Tatsache?
Wenn wir von den sechs Strecken des Ausbauschritts 2023 sprechen, ist das völlig korrekt. Zwischen Lausanne und Genf oder auch bei Bern-Wankdorf ist die Stausituation brenzlig. Deshalb müssen wir gezielt ausbauen. Dort, wo es der Ausbauschritt 2023 eben vorsieht.
 
Welche Bedeutung hat STEP verglichen mit anderen Verkehrsprojekten der Vergangenheit?
Eine sehr grosse. Es ist, was den Privat- und Güterverkehr anbelangt, eines der prioritären Projekte. Die Autobahnen sind die Schlagadern für die Wirtschaft, obschon sie nur gerade drei Prozent aller Strassen ausmachen – doch auf ihnen verkehren über 40 Prozent des Individual- und über 70 Prozent des Güterverkehrs. Eines möchte ich in diesem Zusammenhang betonen.
 
Bitte.
Der Ausbauschritt 2023 ist sicherlich eines der zentralen Projekte in meinem Departement – gemeinsam mit dem Bahnausbau. Ich ziehe den Privatverkehr nicht dem ÖV vor.
 
Die sechs STEP-Projekte kosten 4,9 Milliarden Franken. Das ist ziemlich viel Geld.
Das ist relativ wenig, wenn man bedenkt, dass wie erwähnt 70 Prozent des Güterverkehrs auf den Nationalstrassen abgewickelt werden. Dazu ist die Flächeneffizienz von Strassen zweieinhalb Mal grösser ist als bei der Bahn, weil die Züge die Schienen mit zeitlichem Abstand benutzen müssen, währenddem die Strasse kontinuierlich befahren wird. Daher sind diese Investitionen gerechtfertigt – auch, weil sie für die Bewältigung des Verkehrs mindestens für die nächste Generation ausgelegt sind.
 
Das Geld ist bereits vorhanden?
Ja, der Bund muss keine zusätzlichen Ausgaben tätigen, so sieht es der Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds NAF vor. Im Gegenteil äufnen Autofahrende mit ihren Ausgaben via die Mineralölsteuer die allgemeine Staatskasse mit jährlich über einer Milliarde Franken. Was bleibt, geht in den Strassenbau und -unterhalt. Sprich: Der Bau der Autobahnen wird zu hundert Prozent durch die Autofahrenden finanziert, bei der Bahn liegt diese Quote durch Ticketverkäufe bei etwa 50 Prozent.
 
Wenn Sie also jemand auf der Strasse fragt, ob ihn oder sie STEP etwas kostet, was antworten Sie dann?
Wer ein Auto benutzt, bezahlt entsprechend den Anzahl Kilometern, die er oder sie fährt, via das gezapfte Benzin seinen Anteil Mineralölsteuer. Wer nur Velo fährt, bezahlt nichts.

«STEP ist mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein» 

 

Manche behaupten, mehr Strassen führten zu mehr Verkehr.
Autobahnen sind im Grunde genommen grossräumige Umfahrungen von urbanen Zentren und Gemeinden. Weil moderne Navigationssysteme Staus heute oft umfahren wollen, blockieren die Autos dann die Strassen in den Dörfern. Klar wird durch den Ausbau der Autobahnen der Verkehr auf den Nationalstrassen zunehmen, doch exakt das möchten wir ja. Wir wollen den Verkehr aus den Dörfern wieder auf die Nationalstrassen zurückverlagern. Gesamthaft hingegen wird der Verkehr vom Volumen her gleichbleiben, denn es werden ja die gleichen Strecken befahren. Eine neue Strasse kann zu neuen Verkehrsbedürfnissen führen, ein Ausbau des Netzes nicht zwingend.

Also ist diese These völlig an den Haaren herbeigezogen?
Die Bedürfnisse, von A nach B zu gelangen, bleiben dieselben. Ausserdem bauen wir parallel dazu die Bahnkapazitäten aus, es muss also niemand wegen des Strassenausbaus umsteigen. Wir investieren in den nächsten 20 Jahren insgesamt übrigens mehr in die Schiene als in die Strasse. Deshalb würde ich diesem Argument widersprechen.
 
Die grösste Kritik kommt, wenig überraschend, aus dem links-grünen Spektrum.
Dabei müsste gerade diese Seite den Ausbauschritt 2023 befürworten. Ständiges Anfahren und Bremsen führt zu deutlich mehr Schadstoffausstossen, als wenn der Verkehr fliesst. Zweitens ist Stau eine häufige Unfallursache. Drittens entlasten funktionierende Autobahnen Agglomerationen. Ich fuhr gestern von meinem Büro nach Münchenbuchsee. Weil die Autobahn verstopft war, wich ich auf die Strecke via Zollikofen aus, die sowieso schon oft stak befahren ist. Da war ich aber sicher kein gutes Vorbild. Das Astra empfiehlt immer, die Autobahn bei Stau nicht zu verlassen.
 
Gegnerische Stimmen sagen weiter: STEP ist erst der Anfang. Bei einem Ja folgt gleich der nächste Ausbau.
Nun, die Bevölkerung wächst weiter, weitere Anpassungen werden in Zukunft wohl unumgänglich sein. Mögliche neue Ausbauschritte benötigen aber erneut einen Parlamentsbeschluss, zudem kann dagegen wieder das Referendum ergriffen werden.

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«Ob die Nationalstrassen kurz vor dem Kollaps stehen? Wenn wir von den sechs Strecken des Ausbauschritts 2023 sprechen, ist das völlig korrekt.» Foto: Béatrice Devènes 

Mit STEP werden Sie allerdings nie sämtliche Verkehrsprobleme lösen.
Nein, doch STEP ist mehr als nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Vor allem sind es sechs Projekte, die zügig umgesetzt werden können.
 
Selbst innerhalb Ihrer Partei, der SVP, regen sich kritische Stimmen gegen STEP, namentlich wegen des Verlusts von Kulturland.
Diese Stimmen gibt es, es sind allerdings wenige. Wichtig zu betonen ist, dass es bei drei der sechs STEP-Projekte um Tunnels geht, die unter dem Boden gebaut werden. Bei den anderen drei Projekten reden wir von rund acht Hektaren Fruchtfolgefläche, die verschwinden; das ist rund ein Drittel der Fläche eines normalen Landwirtschaftsbetriebes. Gleichzeitig sind wir gesetzlich dazu verpflichtet, andere Böden, die heute schlecht bewirtschaftet werden, zu Fruchtfolgeflächen aufzuwerten. Die rund acht Hektare werden also kompensiert. Erlauben Sie mir hierzu noch eine Bemerkung.
 
Gerne.
Acht Hektare sind ein geringer Verlust im Vergleich zum Nutzen der Betroffenen. Lastwagen spielen für Bauernhöfe eine zentrale Rolle – sowohl bei der Zulieferung beispielsweise von Dünger oder Futtermittel wie beim Abtransport der Produkte zurück zu den Konsumentinnen und Konsumenten. Die Landwirtschaft ist also enorm auf funktionierende Nationalstrassen angewiesen.
 
Namentlich bei den Tiertransporten.
Bei uns existieren klare Vorschriften, wie lange Schlachttiere maximal transportiert werden dürfen. Fliesst der Verkehr auf den Autobahnen, müssen die Tiere nicht bei drückender Hitze im Stau stehen.
 

«Angst macht mir eine mögliche Emotionalisierung der Debatte»


Was haben unsere Garagistinnen und Garagisten konkret von STEP?
Ihre Mitglieder sowie deren Kundinnen und Kunden sind auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen. Vor allem im Hinblick auf den Umstieg hin zur Elektromobilität ist es wichtig zu betonen, dass, wer sich ein E-Auto kauft, dieses auch fahren kann, ohne damit rechnen zu müssen, dauernd im Stau zu stehen.

Diverse Medien vermeldeten kürzlich, der Bund operiere beim Autobahnausbau mit «falschen Zahlen». Werden solche Schlagzeilen für einen Meinungsumschwung bei der Bevölkerung sorgen?
Unsere Zahlen stimmen, das können wir belegen. Am Ende des Tages sind aber weniger die einzelnen Zahlen entscheidend, sondern der Fakt, dass wir ein Stauproblem haben. Angst macht mir eher eine mögliche Emotionalisierung der Debatte: Die Ausmasse der «Verbetonierung» könnten überschätzt und zu stark gewichtet werden.
 
Wie meinen Sie das?
STEP ist ein Zukunftsprojekt, das insbesondere auch der E-Mobilität zugutekommen soll. Und man sollte daran denken, dass ein wesentlicher Anteil des ÖV ebenfalls die Strasse benutzen muss.
 
Bei einem Nein dürften es wiederum weitere Projekte in Zukunft schwer haben.
Das Ergebnis müsste natürlich zuerst analysiert werden. Selbst bei einem Nein dürfen wir nicht einfach die Hände in den Schoss legen. Es würde uns aber erhebliche Probleme bereiten.
 
Zum Schluss: Was ist Ihr bestes Argument für die Vorlage?
Die Autobahnen sind die Lebensadern der Wirtschaft und des Individualverkehrs. Ihr Ausbau ist dringend nötig, um das Bevölkerungswachstum ordentlich zu bewältigen.
 
Von einem Ausbau der Nationalstrassen profitieren wir alle?
Bis auf jene Ausnahmen, die ein wenig Land abgeben müssen, profitieren alle, ja – selbst jene, die nie Auto fahren, weil Quartiere vom Ausweichverkehr entlastet werden. 

 
Darum geht es bei STEP

Am 24. November entscheidet das Schweizer Stimmvolk über den Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen. Die sechs Teilprojekte sollen Engpässe beseitigen und den Verkehrsfluss auf den Autobahnen verbessern. Damit wird die Sicherheit auf den Autobahnen erhöht, Städte und Gemeinden werden vom Verkehr entlastet. So steigt die Lebensqualität der Bevölkerung, und die Wirtschaft profitiert von einer intakten und effizienten Verkehrsinfrastruktur.
 
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