«Die Leute kaufen wieder Autos»

Interview mit Olivier Wittmann

«Die Leute kaufen wieder Autos»

8. Juni 2021 agvs-upsa.ch – Seit Oktober 2020 verantwortet Olivier Wittmann bei der Amag den Bereich Amag Import. Der 53-Jährige ist somit für den Kontakt zu den Herstellerwerken im Ausland zuständig, gleichzeitig auch Anlaufstelle für Amag-Garagen und freie Vertragspartner. Mit den AGVS-Medien spricht er über Herausforderungen für den Handel, neue Mobilitätsdienstleitungen, aber auch übers Agenturmodell sowie Batterierecycling.
 
jas. Wie zufrieden sind Sie mit den CO2-Emissionen Ihrer Amag-Marken, und was muss noch unternommen werden, um millionenteure CO2-Sanktionen zu verhindern?
Olivier Wittmann, Managing Director bei der Amag Import AG: Man kann in diesem Punkt nicht von Zufriedenheit sprechen. Wir können uns bezüglich CO2-Ausstoss noch weiter verbessern. Für 2021 sind wir aber, was den Modell-Mix anbelangt, ganz klar besser aufgestellt. Sei dies im Elektro-Bereich oder auch bei Plug-in-Hybriden. Wir starten hier ein regelrechtes Feuerwerk. Dieses Jahr lancieren wir acht reinelektrische Modelle und sieben mit Plug-in-Hybridantrieb. Den Auftakt machte der VW ID.4, nun folgt gerade der Skoda Enyaq, dann der Q4 e-tron bei Audi und Ende des Jahres der Born bei Cupra, der Submarke von Seat. Zudem haben wir im Elektro-Bereich auch sehr emotionale Produkte am Start wie den Audi E-tron GT.

Ein Produktefeuerwerk, was gleichzeitig viel Arbeit für die Händler bedeutet, die diese Produkte lancieren dürfen.
Ja, aber die sind alle begeistert! Nur als Beispiel: Der ID.3 hat es geschafft, Ende April zum meistverkauften Elektroauto der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein zu werden. In der Autobranche leben wir von Produkten und den damit verbundenen Emotionen. Eine Produktelancierung ist daher für die Händler immer eine grosse Freude. Vor allem, wenn diese Produkte auf so grosse Gegenliebe bei den Kunden stossen.

Batterien für E-Autos, aber auch Microchips sind weltweit knapp. Kriegen Sie überhaupt die Auto-Modelle, die Sie für den Schweizer Markt benötigen?
Wir sind wie die ganze Industrie weltweit vom Halbleiter- und Chipmangel betroffen – der VW-Konzern ist hier keine Ausnahme. Zusammenfassend: Wir möchten mehr Fahrzeuge haben für die Schweiz. Bezüglich Batteriefahrzeuge sind wir gut unterwegs. Wir haben die gewünschten E-Autos, was für uns sehr wichtig ist. Für das Volumen, die Händler und natürlich auch die Kunden. Der Marktanteil der Steckerfahrzeuge beträgt bei den Neuwagen bereits 16 Prozent. Das ist ein grosser Teil des Marktes. Im April waren es mehr Steckerfahrzeuge als Diesel – unglaublich! Wer hätte dies bis vor kurzem noch gedacht. Von daher sind Steckerfahrzeuge sehr entscheidend für unser Geschäft, aber auch für die Berechnungen der CO2-Werte.

Mit Seats Sportmarke Cupra haben Sie eine zusätzliche Automarke im Gefüge von Amag Import. Besteht keine Gefahr, dass sie anderen Amag-Marken Kunden wegschnappt?
Cupra ist extrem gut gestartet und das leistungsstarke SUV-Coupé Formentor ist ein ideales Modell für den Schweizer Markt. Fakt ist heute: Wir sehen durch Cupra keine Kannibalisierung. Die Marke ist sowohl für uns als auch die Händler ein positives Geschäft. Der Amag-Marktanteil lag Ende 2020 auf einer Höhe von 30,1 Prozent – ein Rekord. Ende April sind wir auf 30,6 Prozent. Cupra bietet uns also die Möglichkeit, neue Zielgruppen zu erreichen und hat bereits (s)einen Platz auf dem Schweizer Markt gefunden.

Haben die Leute also wieder Lust, Autos zu kaufen, oder profitieren eher Ihre Mobilitätsangebote wie das Auto-Abo Clyde?
Die Tendenz ist positiv, sowohl bei den Neuwagen als auch bei den Occasionen. Die Leute kaufen wieder Autos. Der Gebrauchtwagenmarkt hat sich ebenfalls sehr dynamisch entwickelt. Bei den Neuwagen liegen wir besser als im Vorjahr, wobei das Vorjahr ja die Lockdown-Monate umfasste. Wir sind noch nicht auf dem Niveau von 2019, aber zufrieden mit dem Trend bei den Verkaufsverträgen. Die Kunden zeigen ein echtes Interesse für neue Fahrzeuge und neue Dienstleistungen wie Clyde – das macht Freude!

Die Pandemie hat beim VW-Konzern für Produktionsausfälle und Verzögerungen gesorgt. Wie helfen Sie dem Handel, die Kunden zu vertrösten?
Wir haben diesbezüglich intensive Diskussionen und regen Kontakt mit den Werken. Wichtig ist Transparenz gegenüber wartenden Kunden. Sie müssen wissen, wann ihr Fahrzeug geliefert wird. Wir versuchen dann übers Händlernetz oder durch uns eine Lösung zu finden, weil für uns die Kundenzufriedenheit absolut entscheidend ist.

Wie stecken Sie den Einbruch der Autoverkäufe der letzten Monate bei der Amag weg: Werden dafür allenfalls Investitionen in die Digitalisierung oder das Netz vertagt?
Nein, wir schauen vorwärts. Die Digitalisierung ist für unsere Industrie ein Muss. Unser CEO sagt oft «Daten sind das neue Öl». Wir müssen uns nur schon digitalisieren, weil auch die Kunden nach einer Digitalisierung verlangen. Noch wichtiger ist aber «phygital»: Die Kombination der Digitalisierung auf der einen Seite und dem physischen Direktkontakt des Garagisten zum Kunden auf der anderen Seite. Wir investieren, weil die Digitalisierung auch hilft, die Produktivität zu erhöhen, die Costumer Journey zu verbessern und sich dadurch vieles für die Kunden vereinfacht.

VW legt den Schalter komplett auf Elektro um, welche Konsequenzen hat das für die Amag und Ihr Händlernetz?
Bei der Amag haben wir ein Team, das sich voll auf den Bereich E-Mobilität spezialisiert hat – markenübergreifend. Und wir besitzen dank der Amag Academy zudem die Ressourcen, um unser Händlernetz fürs Thema Elektromobilität im Sales und Aftersales zu schulen. Wir bieten den Verkäufern handfeste Unterstützung. Ein Beispiel dazu: Bei Audi haben wir Verkäufer, aber auch sogenannte Audi-Experten eingeführt. Die kümmern sich um den Empfang der Kunden, organisieren die Probefahrten, kümmern sich um die ersten Fragen. Erst bei echtem Kaufinteresse kommt der Verkäufer ins Spiel. Wir haben hier also eine neue Herangehensweise bezüglich Verkaufsprozess.

Das bedeutet…
Heutige Kunden sind ausgezeichnet informiert, daher braucht es auch ein bestens geschultes Händlernetz bezüglich Elektrothemen. Es tauchen immer ähnliche Fragen auf: Kann ich das Auto bei meinem Arbeitgeber laden? Kann ich bei mir zuhause – selbst als Mieter – laden? Wie sieht die Ladeinfrastruktur ganz allgemein aus, damit ich unterwegs laden kann? Hier sind wir bei der Amag gut aufgestellt, um die Elektrokunden kompetent zu beraten.

Mehr Elektromobile heisst auch weniger Servicearbeiten. Wie kompensieren Sie dies bei den Amag-Partnern und welche Perspektiven bieten Sie ihnen?
Wichtig hier: Wir haben Zeit für diese Umstellung. Der Schweizer pflegt sein Fahrzeug, somit bleibt der Fahrzeugpark einige Zeit auf der Strasse. Zudem haben wir einen sehr aktiven Occasionsmarkt, für die kommenden Jahren sehe ich daher trotz steigender Elektrifizierung noch kein Problem. Aber wir müssen uns für diesen Wandel hin zu mehr Elektromobilität gut vorbereiten. Ich denke dabei an Mobilitätsangebote und Mobilitätsdienstleistungen sowie Occasionen als Bausteine für die Zukunft, wobei wir hier sicher noch viel Arbeit vor uns haben.

Ein weitere «Baustelle» gibt’s punkto Batterierecycling: Ab Ende 2021 müssen Sie auch in der Autobranche eine Recyclinglösung umgesetzt haben. Wie weit sind Sie?
Es ist noch nicht klar, ob es eine Branchenlösung oder eine eigene Lösung dazu geben wird. Die Zeit drängt, wir müssen bald eine Entscheidung treffen. Wir sind dazu in konstruktiven Diskussionen mit der Vereinigung der offiziellen Automobil-Importeure Auto-Schweiz und den anderen Akteuren, um die beste Lösung für uns alle zu finden.

In Deutschland ist der vollelektrische ID.3 das erste VW-Modell, das über ein Agenturmodell vertrieben wird. Ist dies auch für die Schweiz angedacht?
Bis jetzt setzen wir bei der ID-Familie wie bei den Verbrenner-Fahrzeugen auf unser Händlernetz. Selbstverständlich diskutieren wir dieses Modell auch mit dem Hersteller. Aber bislang ist keine Entscheidung dazu gefallen. Zudem bedeutet ein Agenturmodell ja nicht, dass die Händler plötzlich wegfallen. Auch das Agenturmodell wird durch die Händler umgesetzt. Händler, aber auch Verkäufer werden eingebunden und spielen dabei weiterhin eine wichtige Rolle!

Welche Aufgaben kommen hier auf Garagisten noch zu?
Nicht nur aufgrund des neuen Businessmodells wird es ganz neue Aufgaben geben. Das ist die normale Entwicklung eines Händlers. Früher war er primär mit Verkauf und Aftersales beschäftigt. Dann haben sich die Garagisten neue Geschäftsfelder erschlossen, Occasionsverkauf oder auch Carrosserie sind hier gute Beispiele. Heute gibt es neue Bedürfnisse. Die Mobilität und auch die Dienstleistungen zum Thema sind viel breiter gefächert. Die Kunden suchen mehr und mehr à la Netflix ein Rundum-Sorglos-Paket. Das muss ein Händler heute anbieten. 
 
Persönlich: Olivier Wittmann
Seit dem 1. Oktober 2020 hat Olivier Wittmann (53) bei der Amag Import AG die Funktion des Managing Directors inne. Der Branchenkenner mit internationaler Erfahrung arbeitete nach Abschluss seines Studiums an der Wirtschaftshochschule (ESCP-EAP) in Paris und ab 1991 für Renault. Er sammelte Erfahrungen im Retailgeschäft und im Einkauf und wechselte 2006 für die französische Marke in die Vertriebsdirektion Europas als Regionalmanager Nordeuropa (Deutschland, Schweiz, Österreich, Belgien und Niederlande). Am 1. Mai 2008 wurde er zum Direktor für Kundendienst und Qualität bei Renault Österreich GmbH berufen. Zwei Jahre später übernahm er die Direktion Vertrieb. Ab 2016 war er Managing Director für die Schweiz und Österreich.
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