Vorerst bleibt die MFK aussen vor

Beginnen wir mit dem Klassiker in Sachen Fahrerassistenzsysteme (kurz ADAS): Ein irreparabler Steinschlag in der Frontscheibe führt zum Scheibenersatz. Früher wurde ersetzt – fertig. In Autos mit einer Kamera hinter der Scheibe wird ersetzt – und dann muss kalibriert werden. Das ist nötig, weil keine neue Scheibe hundertprozentig der alten gleicht und weil minimale Abweichungen bei der Positionierung der Kamera maximale Konsequenzen haben könnten. Ein Beispiel: Ein winziger, für das Auge unsichtbarer Kamera-Winkelfehler von einem Grad ergibt in hundert Metern Distanz 1,7 Meter Abweichung. Fast eine Autobreite, die der Spurassistent dann allenfalls vorbeischielt.
«Die Fahrzeughersteller verlangen die Kalibrierung nach bestimmten Arbeiten am Fahrzeug nicht ohne Grund», betont Markus Peter, Leiter Technik & Umwelt des AGVS. «Nur zuverlässige, also einwandfrei arbeitende Assistenzsysteme bringen den gewünschten Sicherheits- und auch Komfortgewinn.» Doch wer ist in der Verantwortung? Zum einen die Lenkenden. «Die Schwierigkeit ist, dass ein Fehler, der innerhalb der Toleranzen liegt, meistens keine Fehlermeldung auslöst. Dass zum Beispiel die Tempolimit-Erkennung plötzlich häufiger falsch anzeigt, bemerkt man. Aber bei einem sozusagen schlummernden System wie dem Notbremsassistent erkennt man den Fehler erst, wenn es im Ernstfall nicht funktioniert.»
Betriebe tragen Verantwortung
Für die fehlerfreie Kalibrierung – je nach Assistenzsystem und Fahrzeugmodell mal statisch im Stand, mal dynamisch in Fahrt, manchmal beides – wiederum sind andererseits jene Garagen und Carrosserien verantwortlich, die sie durchführen. «Entscheidend ist neben dem Einhalten der Herstellervorgaben die Dokumentation», sagt Peter. «Bereits heute verlangen die Versicherer in der Regel ein Prüfprotokoll als Nachweis, dass die Arbeit wirklich durchgeführt wurde. Und nach einem Unfall wäre es denkbar, dass die Ermittler darauf zugreifen, falls ein Einfluss des Assistenzsystems auf den Unfall nicht ausgeschlossen werden kann.»
MFK-Prüfung in der Diskussion
Wäre es nicht Aufgabe der periodischen Motorfahrzeugkontrolle (MFK) der Strassenverkehrsämter, die ADAS zu prüfen? Hinter den Kulissen laufen seit einiger Zeit Gespräche dazu, dies auch unter Beteiligung des AGVS. «Die konkrete Umsetzung stellt eine Herausforderung dar. Die Grundfrage lautet: Wie wird geprüft und wie oft? Es stellt sich dann auch die Frage der Verhältnismässigkeit», erläutert Markus Peter. Das beginne bereits beim Prüfintervall. «Aus Sicht der Sicherheit könnte eine jährliche Prüfung wünschenswert sein und würde sicher auch von vielen Garagenbetrieben begrüsst. Aber akzeptieren Fahrzeughaltende dies? Hätten die Strassenverkehrsämter und die Betriebe überhaupt die notwendigen Kapazitäten bei Personal und technischer Ausrüstung?», gibt Peter hierzu zu bedenken.
Ein im Auftrag des Bundesamtes für Strassen (Astra) am DTC in Vauffelin durchgeführtes Forschungsprojekt habe Ansätze gezeigt, wie eine ADAS-Prüfung in die MFK integrierbar wäre. Peter nennt drei Beispiele. In Deutschland etwa werden die Systeme seit einigen Jahren über den sogenannten HU-Adapter ausgelesen – um sogar Abweichungen zu finden, die noch keine Fehlermeldung triggern. Alternativ könnten Prüfstrecken für Probefahrten im Freien eingerichtet werden. «Doch da stellt sich die Frage nach Prüfungen bei widrigem Wetter», sagt Peter – der als gangbarsten Weg als Drittes spezielle Rollenprüfstände in Kombination mit Bildschirm und Radartargets sieht, von denen Prototypen existieren. «Das ist erst in der Entwicklung. Der Nachteil: Diese Geräte sind sehr teuer und kämen für Garagen vorerst wenig in Frage. Wohl aber könnten sie in einem Zeithorizont von vielleicht fünf Jahren bei ausgewählten Prüfstellen eingeführt werden.» Doch noch gelte: Nichts ist entschieden, die Diskussion läuft – und in der Verantwortung bleiben damit vorerst vor allem die Betriebe.
Kalibrierung wird zum Alltag
Geht es überhaupt noch ohne einen eigenen Kalibrierplatz und Kalibriereinrichtung? «Mittelfristig macht es gerade für Carrosseriebetriebe, aber auch für Garagen, die sich nicht nur auf Servicearbeiten beschränken wollen, sicherlich Sinn, zu investieren», vermerkt Peter und gibt zu bedenken, dass zum Beispiel bereits Matrix-LED-Licht nach Kalibrierung verlangt. Markus Peters Tipp: «Führen Sie im Zweifel vielleicht einfach mal eine Statistik über alle extern durchgeführten Kalibrierungen und darüber, welche Kalibrierungen das waren – um zu sehen, ob sich die Investition in eine eigene Kalibriereinrichtung lohnen kann.» Denn auch die Bandbreite bei den Kalibriereinrichtungen ist enorm: Es muss ja nicht gleich das Highend-Gerät sein.
Der Leiter Technik & Umwelt fügt an: «Worauf man nicht hoffen sollte, ist, dass die Kalibrierung in Zukunft vor allem dynamisch erfolgt: Die statische Kalibrierung bleibt, was auch mit den Tücken der dynamischen Kalibrierung zusammenhängt.» Schmunzelnd sagt Markus Peter: «Es gibt Hersteller, die eine halbstündige Geradeausfahrt über einer gewissen Geschwindigkeit zur dynamischen Kalibrierung verlangen – in der Schweiz ist das bereits eine echte Herausforderung.»