Reifenentwicklung bei Nexen Tire

«Wir müssen Zielkonflikte lösen»

Seit 2003 ist Hostettler Autotechnik für den Vertrieb von Nexen Tire verantwortlich. Eine starke Partnerschaft, die beiden Seiten zugutekommt, da der koreanische Reifenhersteller Jahr für Jahr spannende Produkte für Garagen und Endkunden präsentiert. Die AGVS-Medien wollten von Ralf Flachbarth wissen, worauf es bei der Entwicklung neuer Reifen ankommt.
Publiziert: 29. September 2025

Von

Jürg A. Stettler


										«Wir müssen Zielkonflikte lösen»
Das 2019 eingeweihte Nexen-Tire-Werk in Tschechien wird weiter ausgebaut und legt grossen Wert auf Nachhaltigkeit bei der Produktion. Nexen wird für seine Anstrengungen im sogenannten ­ESG-Bericht von EcoVadis – einem weltweit tätigen Bewertungsunternehmen für Nachhaltigkeit – gar mit dem Status «Gold» bewertet. Foto: Nexen Tire/UTAC

Herr Flachbarth, Sie kennen sich bestens mit Reifenentwicklung aus. Sie sind 2013 zu Nexen gekommen und haben insgesamt fast 30 Jahre in Entwicklungsabteilungen der Reifenindustrie als Entwicklungsingenieur gearbeitet. Was sind die aktuellen Haupttrends?
Ralf Flachbarth, Entwicklungsingenieur im Europäischen Entwicklungszentrum von Nexen Tire und seit April 2025 Leiter der Produktplanung für Europa bei Nexen Tire Europe: Einer der wichtigsten Trends ist die Elektrifizierung des Fahrzeugmarktes. Ein Reifenhersteller muss auf die besonderen Anforderungen von E-Fahrzeugen reagieren können, wie etwa hohes Drehmoment, hohes Fahrzeuggewicht und geringe Geräuschentwicklung. Parallel dazu müssen Produkte verfügbar sein, die auch zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor passen. Ein weiterer Trend ist der wachsende Marktanteil von Ganzjahresreifen. In diesem Segment hat sich die Performance im Vergleich zu vor zehn Jahren deutlich verbessert. Und der dritte Trend ist der zunehmende Zollgrössen-Anstieg in allen Fahrzeugsegmenten.

Der Winguard Sport 3 hat sogar einen renommierten Designpreis erhalten. Bedeutet das jetzt, dass Reifen nicht nur gut, sondern auch attraktiv für den Endkunden sein müssen?
Die erste Priorität liegt auf der Performance. Die Entwicklung eines Winterreifens ist dabei noch anspruchsvoller als die eines Sommerreifens. Es ist wichtig, eine gute Balance zwischen der Leistung auf Schnee, Nässe und trockener Fahrbahn sowie einer guten Laufleistung zu finden. Es reicht nicht, in nur einem dieser Kriterien Spitzenwerte zu erzielen und dabei ein anderes Kriterium zu vernachlässigen. Der Erhalt eines Designpreises ist eine zusätzliche Auszeichnung für unsere Arbeit, aber der Hauptfokus liegt auf dem Grundsatz «Form follows Function».

Wie wichtig sind virtuelle Entwicklung und Künstliche Intelligenz (KI) heute bei der Entwicklung eines neuen Reifens, und wie wichtig ist die Erfahrung der Ingenieure?
Virtuelle Entwicklung und KI sind moderne, wichtige Schlüsseltechnologien, die in allen Bereichen der technischen Entwicklung eingesetzt werden. Während der Fahrsimulator eine grosse Menge an Daten sammelt und aufzeichnet, führen wir auch subjektive Bewertungen durch, indem wir erfahrene Testfahrer im Simulator fahren lassen – genau wie bei realen Fahrzeugtests. Das Feedback und die Bewertungen dieser erfahrenen Fahrer sind äusserst wichtig. Auch die Erfahrung der Ingenieure ist entscheidend. In aktuellen KI-Anwendungen liegt der Fokus nicht nur auf den Algorithmen selbst, sondern zunehmend auf der Qualität und Quantität der fürs KI-Training verwendeten Daten. Deshalb sind kontinuierliche Forschung, Entwicklung, Bewertung und Expertenfeedback unerlässlich, um qualitativ hochwertige Daten zu sichern und zu sammeln. Durch Fortschritte in virtuellen Technologien wie KI und Fahrsimulatoren können unsere Ingenieure mehr Erfahrung und Wissen gewinnen. Virtuelle Entwicklung und KI unterstützen die Ingenieure, können sie jedoch nicht ersetzen.

Worauf gilt es bei der Entwicklung eines guten Winterreifens besonders zu achten?
Die Ausgewogenheit zwischen Schnee-, Nässe- und Trockenperformance und Laufleistung ist sehr wichtig. Das macht die Entwicklung sehr komplex. Das Zusammenspiel von Mischung, Konstruktion und Profilgestaltung ist entscheidend für Spitzenleistungen unter allen Wetterbedingungen. Ausserdem muss die Fertigungstechnologie auf höchstem Niveau sein. All diese Anforderungen erfüllen wir mit unserem neuen Werk in Tschechien, wo wir über die modernste Misch- und Produktionstechnologien verfügen.

BEV, also E-Fahrzeuge, stellen – wie Sie erläuterten – besondere Anforderungen an Reifen. Wie wirkt sich das aus?
Man muss hier zwischen Entwicklung für OE, also Erstausrüstung, und RE, sprich Ersatzmarkt, unterscheiden. Wie bei jedem OE-Projekt – egal, ob für Verbrenner oder E-Fahrzeug – legt der Fahrzeughersteller die Ziele fest, und der Reifenhersteller muss diese im Vergleich zu einem definierten Referenzreifen erfüllen. In der RE-Entwicklung legt der Reifenhersteller die Schwerpunkte und Ziele selbst fest. Generell muss der Reifen die hohe Fahrzeuglast tragen, eine gute Laufleistung bieten und ein leises Abrollgeräusch aufweisen. Wie bei jeder Reifenentwicklung ist es wichtig, Zielkonflikte – beispielsweise Nasshaftung, Verschleiss und Rollwiderstand – zu lösen. Um die speziellen Anforderungen zu erfüllen, bringt Nexen Tire für den Ersatzmarkt eine ausgewählte Grössenpalette – zwölf Dimensionen im Profil N’Fera Sport und 18 Dimensionen im Profil N’Blue 4 Season 2 – speziell entwickelt für E-Fahrzeuge auf den Markt. Abgesehen von diesen 30 Grössen sind alle aktuellen Nexen-Reifen mit BEV kompatibel.

Wie wichtig ist es für Nexen Tire, dass Produkte als Erstausrüstung montiert werden?
Die Erstausrüstung ist für unsere Produkte von entscheidender Bedeutung. Wir müssen sicherstellen, dass Nexen-Reifen modernste Technologien enthalten, um die Leistungs- und Qualitätsanforderungen der Fahrzeughersteller zu erfüllen, sowie den neuesten europäischen und globalen Vorschriften entsprechen. Erstausrüstungsfreigaben stellen sicher, dass die Nexen-Technologie auf höchstem Niveau konkurrenzfähig ist. Zudem stärkt die Ausrüstung neuer Fahrzeugmodelle das Markenimage von Nexen.

Was ist der Trend bei homologierten Reifen?
Eine weitere Reduzierung des Rollwiderstands und ein verstärkter Fokus auf Nachhaltigkeit bei gleichzeitiger Beibehaltung anderer Reifeneigenschaften sind Ziele vieler Fahrzeughersteller.

Reifen müssen mittlerweile in immer mehr Dimensionen angeboten werden. Eine Herausforderung?
Die Anzahl der benötigten Reifendimensionen steigt seit vielen Jahren. Das bedeutet jedoch keine Herausforderung für die Entwicklungsaktivitäten. Die Erweiterung der Dimensionspalette ist ein normaler Prozess in der Entwicklung. Allerdings benötigt man mehr Entwicklungs- und Produktionskapazitäten, und die steigende Anzahl an Artikelnummern macht die Logistik komplexer.

Können Sie uns auch etwas zur Positionierung und Strategie von Nexen Tire – insbesondere in Europa – sagen? Wohin steuert das Unternehmen?
Wir entwickeln weiterhin Premiumreifen für den Ersatzmarkt und für OEM wie Porsche, BMW, Audi, Mercedes und andere. Wir bieten Premiumleistung zu einem fairen Preis. Wir konzentrieren uns darauf, die Markenbekanntheit und den Marktanteil weiter zu steigern und ein verlässlicher Partner für unsere Kunden – Reifenhändler, Garagen und Endverbraucher – zu sein. Wir erhöhen unsere Produktionskapazitäten in Europa und stellen neue, qualifizierte Mitarbeitende ein – entgegen dem allgemeinen Trend in der Reifenindustrie. Unser Bekenntnis zu Europa zeigt sich in der Erweiterung unseres hoch automatisierten Werks in Tschechien.

Die Reifensaison steht wieder vor der Tür. Haben Sie schon einen Termin mit Ihrer Garage vereinbart oder warten Sie auf den ersten Schnee?
Es ist nie eine gute Idee, auf den ersten Schnee zu warten. An diesem Tag kommen alle zur Werkstatt und wollen die Reifen wechseln. Wir empfehlen, den Reifenwechsel frühzeitig zu planen und mit ihrer Garage zu vereinbaren. Dann können Sie dem ersten Schnee entspannt entgegensehen.

Warum sollte sich eine Schweizer Garage speziell für Nexen Tire entscheiden?
Es gibt mehrere Gründe, sich in der Schweiz – und nicht nur dort – für Nexen zu entscheiden: Die hohe Produktleistung von Nexen wurde in unabhängigen Reifentests des TCS nachgewiesen. Es gibt dank der Hostettler-Gruppe ein sehr gutes Nexen-Netzwerk in der Schweiz – seit über 20 Jahren – und eine ganzjährige sehr gute Verfügbarkeit von Nexen-Produkten. Zudem werden die Produkte für und in Europa entwickelt, was eine flexible Produktion und schnelle Lieferung garantiert.

Wie nachhaltig ist die Gummimischung des Winguard Sport 3 und anderer Nexen-Tire-Produkte? Und wie nachhaltig ist das Unternehmen insgesamt?
Es geht nicht nur um die Mischung eines einzelnen Produkts, sondern um die Nachhaltigkeit von Nexen Tire als Unternehmen und unserer gesamten Produktpalette. Nexen wird im sogenannten ESG-Bericht von EcoVadis – einem weltweit tätigen Bewertungsunternehmen für Nachhaltigkeit – mit dem Status «Gold» bewertet. Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung nachhaltiger Technologien durch kontinuierliche Innovationen, um den Ausstoss von Treibhausgasen zu reduzieren. Wir entwickeln Produkte mit hoher Effizienz durch niedrigen Rollwiderstand, geringe Geräuschemission und langer Haltbarkeit, um den Reifenabrieb zu reduzieren. Und Nexen setzt Fahrsimulatoren und Simulationssysteme ein, um die Performance vor der Herstellung eines Reifens zu evaluieren – so sparen wir Rohstoffe und Energie. Insgesamt unternehmen wir kontinuierliche Anstrengungen, um die Umweltbelastung zu minimieren.

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