«Das Team zählt und geht voran»

Im Zürcher Oberland ist die Welt noch in Ordnung: Von Hittnau, das Auto- und Motorsportfans von der beliebten Oldtimerclassic her kennen, geht es durch die malerische Hügellandschaft, vorbei am Restaurant Alpenrösli in Wallikon mit der Terrasse, den Blumen und Gartenzwergen. Jeder Kilometer Weg entschleunigt hier. Dann, in einer der kleinen Wachten – wie die Weiler rund um Pfäffikon genannt werden –ist die Garage des AGVS-Zentralpräsidenten Manfred Wellauer beheimatet. Genauer: im Humbel. Der 62-Jährige ist gerade zurück aus der Romandie, sitzt im kleinen Büro-Eck der Garage am PC und kümmert sich um Kunden-Emails.
«In der Werkstatt ist aktuell etwas wenig Platz, ich musste für den Termin im DTC Vauffelin alle Maschinen reinstellen», meint das langjährige ZV-Mitglied Wellauer fast entschuldigend. Maschinen? Ja, denn Manfred Wellauer, der oberste Schweizer Garagist, kümmert sich nicht nur um Autos, Young- und Oldtimer, sondern auch Töffs. Und sitzt für den AGVS auch im Verwaltungsrat der DTC Dynamic Test Center AG. «Das DTC ist ja im gewissen Sinne ein Spin-off der Berner Fachhochschule und somit ein Teil unserer Autoingenieurs-Schmiede. Mit Thomas Rücker von Auto-Schweiz und mir sind wir zwar nur zwei direkt aus der Autobranche im VR», erläutert Wellauer, «aber der Austausch auf technischer Basis ist vor allem im Sicherheits- und Homologationsbereich oder auch bezüglich der Lärmmessungen sehr interessant und zudem wichtig für unsere ganze Branche.»
Hat sich Wellauers Leben nach seiner Wahl durch die Delegierten verändert? «Gute Frage», sagt Wellauer und fügt dann an: «Ich bin von verschiedensten Leuten darauf angesprochen worden. Es haben sich sehr viele positiv zu meiner Wahl geäussert, was mich wirklich gefreut hat. Doch eigentlich hat sich nicht sehr viel geändert.» Das lag auch an der Ausgangssituation vor seiner Wahl: Bereits zuvor hatte Wellauer als einer der Vizepräsidenten eng mit seinem Westschweizer Vizepräsidentenkollegen Dominique Kolly sowie mit dem damaligen interimistischen Geschäftsführer und jetzigen Vizepräsidenten Andri Zisler zusammengearbeitet. «Eigentlich hat sich nur die Konstellation geändert. Ich allein könnte und wollte den Verband auch gar nicht führen. Und mit dem neuen Geschäftsführer Christian Wyssmann, der einen vielseitigen Rucksack aus der Branche mitbringt, ist weiterer frischer Wind dazugekommen. Das tut unserem Verband und seiner Führung ebenfalls gut. Das Team zählt und geht voran.»
Der Austausch im Führungsgremium funktioniere prima, auch dank unterschiedlicher Karrierehintergründe – ob Nutzfahrzeug-, Retail- oder Handelsspezialist. Und dies trotz der verstreuten Örtlichkeiten wie Fribourg, Graubünden, Berner Seeland oder Zürcher Oberland. «Dank Online-Meetings kann man heute Sitzungen problemlos virtuell abhalten. Ich bin aber weniger der Email-Schreiber», ergänzt Wellauer, «ich greife lieber kurz zum Telefon. Bei einem Gespräch gibt es viel weniger Chancen, das Gegenüber falsch zu verstehen oder irgendetwas Falsches zwischen den Zeilen herauszulesen. Ausserdem kann man bei Unklarheiten gleich nachfragen – auch das finde ich wichtig.»
Schon vor seiner Wahl war für Manfred Wellauer klar, dass er nach bald 30 Jahren im Zentralvorstand nur so lange als AGVS-Zentralpräsident amten wird, bis die neue Findungskommission einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin gefunden hat. «Ich habe von Anfang an klar signalisiert, dass auf die Delegiertenversammlung 2026 hin oder spätestens 2027 meine Nachfolge stehen muss», erläutert der Zürcher. Damit nimmt er sich sogar die Chance, den AGVS während des ganzen 100. Jubiläumsjahres 2027 zu führen. «Ich überlasse diese Bühne sehr gerne jemand anderem», erläutert Wellauer ganz gelassen und ergänzt: «Zudem stehen für 2027 Gesamtwahlen im Zentralvorstand an, und ich glaube, es wäre nicht richtig, wenn ich nochmals antrete. Jüngere Kräfte tun unserer Branche und auch unserem Verband gut.» Sei man zu lange dabei, wisse man zwar, wie der Hase laufe. Doch es schlichen sich gewisse Routinen und Bequemlichkeiten ein. «Gewisse Veränderungen tun gut, und ich will diesen nicht im Wege stehen. Es soll nicht heissen, dass ich an meinem Sessel geklebt habe», erläutert der 62-Jährige, der seit Januar Grossvater ist, ganz nüchtern und dezidiert.
Wie hat sich der AGVS in den letzten fast 30 Jahren, in denen Wellauer in verschiedenen Chargen für den Verband tätig war, verändert? Manfred Wellauer überlegt kurz und erklärt: «Einer der zentralen Punkte ist sicherlich: Ende der 1990er-Jahre hatten wir beim AGVS einen Anteil von zehn oder vielleicht zwölf Prozent an markenfreien Garagen. Heute machen sie über ein Drittel unserer Mitgliedsbetriebe aus.» Diese neue Mitgliederstruktur spiegle die allgemeine Entwicklung in der Branche wider. Einer Branche, die der eher leise und zurückhaltend auftretende Wellauer bestens kennt: Von 2006 bis 2012 war er Geschäftsführer bei Amag Utoquai und Porsche Zürich und dann fünf Jahre verantwortlich für die Amag in Jona. «Wir hatten damals ein zweistufiges Vertriebssystem bei der Amag und mit unseren Vertretungen auch sehr loyale Partner», erinnert sich Wellauer, «doch dann wurde eine Netzbereinigung durchgeführt – und zwar nicht nur bei der Amag. Ich wage aber zu behaupten, dass es vielen dieser ehemaligen Markengaragen, die damals vielleicht in ein recht enges Korsett eingeschnürt waren, heute mindestens so gut, wenn nicht besser geht. Sofern es sie noch gibt: Denn auch die Nachfolgeregelung ist enorm wichtig und wird oft zu lange rausgeschoben», merkt Wellauer fast nachdenklich an. Der AGVS habe in diesem Bereich schon mehrfach intensiv auf Hilfestellung bis hin zu Seminaren und Kursen gesetzt. Dennoch sei die Dringlichkeit des Themas, sagt Wellauer, noch nicht überall erkannt worden. Die Autobranche sei hier genau wie beim Fachkräftemangel nicht allein: Allgemein würden viele Schweizer KMU die Nachfolgeregelung und deren Zeit- und Planungsbedarf oft unterschätzen.
Dann wird unser Gespräch unterbrochen: Ein Kunde bringt sein Auto zum Service. Manfred Wellauer stellt seinen VW Passat B5 Variant mit U-Nummer zur Seite. Denn «Alte Liebe rostet nicht» ist nicht nur das Motto des ESA-Konzepts «Vintage Point», sondern für Wellauer, der die Aufmerksamkeit durch ein funkelndes Neufahrzeug ganz offensichtlich schlicht nicht nötig hat, auch eine Lebens- oder vielmehr Berufseinstellung. Wellauer gehört mit dem ESA-Werkstattkonzept zu den Garagistinnen und Garagisten, die sich auch um die fachgerechte Wartung von über 20 Jahre alten Fahrzeugen, primär Alltagsautos sowie ebenfalls Sammlerfahrzeuge, kümmern. Auf Wellauers Hof steht auch ein Audi A2 mit seiner Alu-Karosserie und dem effizienten Diesel – inzwischen schon fast wieder ein gesuchtes Liebhaberfahrzeug für Sparfüchse. Der AGVS-Zentralpräsident bemerkt unser Interesse an seinen Occasionen und sagt nach der Verabschiedung des Kunden mit einem Schmunzeln: «Ich mache in meinem Betrieb relativ viel Alteisen. Ich betreue vorwiegend Fahrzeuge und somit jene Technik, mit der ich gross geworden bin, etwa Unterbrecherzündung oder Vergaser.» Lachend ergänzt er: «Ich war damals zwar Lehrabschluss-Prüfungsexperte und habe auch die Meisterprüfung gemacht. Ich bin aber nicht sicher, ob ich heute den enormen Anforderungen, die an einen Automobildiagnostiker gestellt werden, noch gewachsen wäre. Aber ich habe da eben den Vorteil, dass ich mich auf die Nische der klassischen Fahrzeuge fokussiert habe.» Dann kommt Wellauer nochmals auf die Veränderungen der letzten 30 Jahre zu sprechen. Vor allem habe sich, so Wellauer, das Verhältnis der Branchenverbände massiv verbessert – und nicht nur durch die gemeinsame Heimat in der Berner Mobilcity. «Als junges ZV-Mitglied wurde ich zum Jahresgespräch mit Auto-Schweiz abdelegiert. Da sassen die hohen Herren von den Automarken im Saal, blickten auf uns herab und sahen uns als Befehlsempfänger. Heute haben wir – gerade mit Auto-Schweiz – eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Wir verstehen uns gut und tauschen uns regelmässig aus. Wir als Garagistinnen und Garagisten sind auf die Importeure angewiesen und umgekehrt.»
Wie aktiv will sich Manfred Wellauer politisch einbringen? Schlägt er allenfalls parteipolitisch eine andere Linie als sein Vorgänger ein? Wellauer überlegt nicht lange und sagt: «Durch einen Politiker an der Verbandsspitze hatte man natürlich einen direkteren Zugang zum Bundeshaus. Gewisse Türen gehen so schneller auf. Aber der Politiker muss auch in der richtigen Kommission sitzen und Mehrheiten bilden können. Der AGVS muss sich jedoch gar nicht selbst politisch exponieren. Dafür haben wir mit der Strasseschweiz eine klar bessere, stärkere Struktur.» Der Verband Strasseschweiz, zu dessen Gründungsmitgliedern der AGVS zählte, tritt für die Wahrung der Interessen des Strassenverkehrs ein und hat rund 30 Mitglieder, namentlich Strassenbenutzerverbände, Organisationen der Automobil- und Strassenwirtschaft sowie kantonale Strassenverkehrsligen. «Geschäftsführer Olivier Fantino und sein Team machen einen guten Job und sind bestens vernetzt», ergänzt Wellauer. «Wir müssen also nicht als Verband eine aktivere Rolle einnehmen, sondern vor allem unsere Mitglieder besser für politische Belange der Mobilitätsbranche mobilisieren. Treten die Garagistinnen und Garagisten in ihren Gemeinden und Kantonen oder auch ihren Sektionen wieder aktiver für ihre eigenen Interessen ein, können wir gemeinsam viel bewegen.» Ihm sei klar, dass die Kundschaft der Garagistinnen und Garagisten das ganze parteipolitische Spektrum umfasse. Man müsse sich nicht unbedingt exponieren, «aber ein bisschen Farbe bekennen geht.» Er wünsche sich mehr persönlichen Einsatz für die Branche, die sich um die fast 4,8 Millionen Autos und insgesamt 6,5 Millionen Motorfahrzeuge kümmert.
Das Engagement für den AGVS und viele weitere Funktionen – kommt da nicht das Private zu kurz? Denn Manfred Wellauer ist beispielsweise Mitglied im EfficiencyClub, in der Schulkommission der Technischen Berufsschule Zürich (TBZ) und Vorstandsmitglied bei EcoSwiss, einen Verband für wirtschaftsfreundlichen Umweltschutz. Doch auch Wellauers Tag hat nur 24 Stunden. «Familie und Freunde kommen leider teils zu kurz», gibt Wellauer unumwunden zu. Hat er denn Zeit für ein Hobby oder mal eine Töfftour? Manfred Wellauer lacht und antwortet: «Die letzte Tour ins Piemont ist schon lange her. Ich sitze eigentlich nur noch im Sattel, wenn ich eine Test- oder Probefahrt mache.» Vor einer Weile habe er zudem angefangen, wieder zu musizieren. «Als Jugendlicher spielte ich Klarinette, jetzt Saxofon», so Wellauer. «Ich bin in einer Bläserklasse und muss mir diese Zeit einfach ein bisschen rausnehmen.»
Abschalten könne er vor allem bei Spaziergängen mit seiner Partnerin und den drei Hunden, «da kann ich wieder Kraft tanken, die herrliche Landschaft des Zürcher Oberlands ist ja prädestiniert dafür.» Wie oft findet Wellauer denn andererseits Zeit, um in der Werkstatt zu stehen? «Bevor ich das Amt antrat, musste ich dazu erst einen Weg in meinem Betrieb finden», macht Wellauer klar, «zudem sind meine Aufträge selten zeitkritisch. Ich kann Kunden auch mal fragen, ob der Service vielleicht erst am Mittwoch oder Donnerstag statt am Montag möglich ist. Im Motorradbereich – die Ausnahme sind da die Roller – ist es eh nicht so wie bei Autos, die am Morgen gebracht werden und am Abend wieder raus müssen. Bei mir geht es meistens um Freizeitfahrzeuge, da sind Arbeiten nicht so zeitkritisch. Und es ist wie überall – auch in der Arbeit mit dem Verband: Man muss mit den Leuten reden, dann findet man immer eine Lösung.».