Die Zukunft steht in Studen

Hollywood liegt heute in Studen BE. Wir stehen mit grossen Augen in einem runden weissen Raum. Klinisch kühl und strahlend hell in indirektem LED-Kaltweiss, gedämpfte Akustik. In einem Science-Fiction- Streifen käme Keanu Reeves ums Eck und würde erklären, dass wir versehentlich ins Jahr 2075 gebeamt wurden. Aber diese Zukunft hier ist sehr real und der futuristische Raum keine Zeitmaschine, sondern die Auto-Fotobox im neuen Remarketing-Zentrum der Cotra Autotransport AG. Wobei: Der Begriff Zeitmaschine wäre gar nicht so falsch. Hier braucht es keine Fotografen mehr für gute Inseratefotos: Auf dem Drehteller rotierende Autos werden von vier Kameras je 36-mal abgelichtet. Automatisch. Inklusive 360-Grad-Fotos innen und auf Wunsch auch in farbigem Licht und mit offenen Fahrzeugtüren. Zwei Minuten – und fertig. Beeindruckend.
Dabei waren wir erst etwas enttäuscht nach der Anfahrt zum riesigen Cotra-Gelände nahe Biel. Hinter Flotten folienverpackter Autos – hundertausende Neuwagen und Occasionen prozessiert die Cotra im Jahr – duckt sich die Remarketing-Halle unauffällig vor das XL-Holz-Parkhaus. Sie hat 6000 Quadratmeter, ist seit Mai im Dienst und wird bei unserem Besuch im Juni vor 180 Gästen offiziell eingeweiht. Kein architektonischer Hingucker, sondern ein nüchterner Zweckbau. Und das für einen «tiefen zweistelligen Millionenbetrag », wie Chief Operations Officer (COO) Edmond Borner verrät. «Diese Halle will nicht schön sein», sagt der Cotra-COO, «sondern effizient: Nicht wir, sondern die Autos stehen im Fokus und sollen glänzen.» Die Halle sei «ein Meilenstein für die Branche. Das ist ein neues Level der Automobillogistik und der Qualität im Remarketing.» Und sie sei «Innovation mit Verantwortung», so Borner. «Wir haben 2018 hier das erste Holz-Parkhaus der Schweiz eingeweiht und erzeugen auf allen Dächern 1,5 Megawatt Peak Solarstrom für unseren Betrieb und unsere Elektroflotte.» Im Zentrum stehe, dass der Remarketing-Prozess erstmals in die Schweiz so zentralisiert unter einem Dach und aus einer Hand erfolge.
Auf zum Rundgang (auf dem wir auch die Fotobox erleben werden). Wir spielen jetzt quasi Occasion und nehmen den Weg eines – nur zum Beispiel – dreijährigen Leasingrückläufers. Angekommen wären wir per Cotra-Autotransporter. Jetzt werden wir gewaschen: Eine Portalanlage kümmert sich um Sprinter und Co., daneben arbeitet für Personenwagen die bereits im AUTOINSIDE 06/25 vorgestellte erste Schweizer Doppelspur-Plattenförder-Waschstrasse von Otto Christ. In zwei bis drei Minuten wird ein Auto gewaschen – fahrerlos und dank der speziellen Technik selbst dann, wenn ein Auto mal die Handbremse aktiviert. Das vermeidet Prozessverzögerungen.
Dann geht es durch den Bogen des Hightech-Scanners: Captain Future auf Gebrauchtwagenmission. Der Scanner (Drive Scan von ADI, gemeinsam mit dem XpertCenter entwickelt) schiesst 2000 Fotos und analysiert zum Beispiel auf Hagelschäden, Beulen und Kratzer, erkennt Lackdifferenzen und damit Reparaturen. Der Unterboden wird gescannt, Pneudimensionen und Profiltiefen werden erfasst. Die Daten gehen direkt ins System, für die Expertise. Wow! «Wir ersetzen nicht die Experten, sondern unterstützen ihre Analyse», betont Manuel Straub, Werkstattchef in der Remarketing-Halle und beim Rundgang unser Guide.
Auf den Scanner folgen fünf Hallenteile nebeneinander, die wir durchlaufen wie ein Neuwagen zum Finish oder vor allem eine Occasion zur Aufbereitung: kurze Wege, höchste Effizienz, perfekt durchgeplante Prozesse. Die Halle von Cotra-Tochter Cartec: Hier wird über Reparaturen entschieden und das Fahrzeug samt Innenraum geprüft. «Nur der Experte kann zum Beispiel den Geruch im Interieur beurteilen», sagt Straub. Die Aufbereitungshalle: Hier poliert und reinigt Cotra-Partner Danz Autofinish. Die Inspektionshalle von Cotra, hier steht die Fotobox. Auch Cotra-Tochter Wheelnews ist da und repariert Felgen. Dann noch die Halle mit Partner XpertCenter: Expertise und Restwertkalkulation. Letzter Hallenteil: Bierzeltgarnituren. Nanu? Die Antwort: Das ist nur heute für die Einweihungsgäste – an sich ist diese Halle die Werkstatt.
Mit nur 30 ihrer rund 300 Mitarbeitenden bereitet der Familienbetrieb Cotra hier 200 bis 300 Fahrzeuge auf – täglich! Ob von Importeur oder Händler, Flottenbetreiber oder Leasinggesellschaft: Das Auto wird von der Cotra geholt, aufbereitet samt Alltagsreparaturen und auf Wunsch Service und den Verkaufsfotos für Inserate, das Expertengutachten entsteht – und dann wird das Fahrzeug bei Bedarf auch bis zum Wiederverkauf gelagert und später wieder ausgeliefert. Alles aus einer Hand unter einem Dach. «Das ist eine echte Innovation», betont Edmond Borner, «das gibt es in der Schweiz in der Form nicht. Damit sind wir der perfekte Partner.» Auf diesem Areal hatte einst GM Branchengeschichte geschrieben. Die Cotra schreibt sie weiter.