Fernost-Wind of Change

Noch sind auf dem chinesischen Markt rund 250 Fahrzeughersteller aktiv. Allerdings dürfte eine Bereinigung bald folgen, denn in vielen Fällen wird die staatlich unterstützte Produktion aufgrund massiver Überkapazitäten und dem daraus folgenden extremen Preiskampf nicht mehr fortgesetzt werden können. Auch deshalb blicken die chinesischen Hersteller vermehrt auf neue Märkte, beispielsweise Europa – und die Schweiz. Bereits erkennbar in die Immatrikulationsstatistik von Auto-Schweiz Einzug gehalten haben in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres die Marken BYD, JAC, Leapmotor und MG mit Marktanteilen von bis zu 1,3 Prozent und Verkaufszahlen von bis zu 1921 Einheiten.
Zwar sind diese absoluten Zahlen noch sehr bescheiden, doch gehören die vier bisher erfolgreichsten Chinesen zu den wenigen Herstellern, die im Vergleich zum Vorjahr auf dem Schweizer Automarkt mit kräftigem Wachstum aufwarten können. MG gehört wie die beiden Marken Maxus und Roewe zum riesigen SAIC-Konzern (Shanghai Automotive Industry Corporation). Sowohl MG als auch Roewe erinnern aber nur noch mit ihrem Namen an die traditionsreichen englischen Hersteller Morris Garages (MG) und Rover. Die aktuellen chinesischen Modelle sind unter den neuen Besitzern zu völlig neuen, auf weissem Papier frisch für das Elektrozeitalter entworfenen Autos geworden.
Grundsätzlich gibt es auf dem Schweizer Markt für Autobauer aus dem Reich der Mitte gleich mehrere Herausforderungen. Zum einen sind die meisten Marken bei uns noch nicht bekannt, zum anderen fehlt oft ein flächendeckendes Händlernetz. Aber da die chinesischen Hersteller im preissensitiven EU- und im anspruchsvollen Schweiz-Markt ein perfektes Prüffeld für den Marktwert ihrer Produkte sehen, lancieren derzeit gleich mehrere Anbieter in schneller Folge Modell für Modell – viele rein elektrisch angetrieben, parallel dazu aber manchmal auch Plug-in-Hybrid- oder Verbrenner-Antrieb. Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von Autoscout24 hat sich in der Schweiz im vergangenen Jahr jeder fünfte Autointeressierte über chinesische Produkte informiert. Besonders hoch soll die Kaufbereitschaft bei Männern, Personen mit tieferem Einkommen und bei Befragten in der Westschweiz sein.
Je höher der Anschaffungspreis eines Autos, desto wichtiger ist für die Kundschaft das Markenprestige. Bei niedrigpreisigen Fahrzeugen dagegen ist die Kundschaft weniger anspruchsvoll in Bezug auf Marken und Provenienz. Während sich diverse chinesische Elektromodelle im bisher nur mager besetzten unteren Preissegment einreihen, positionieren sich andere aber auch im Hochpreissegment und liefern passend dazu ein grosses bis extremes Leistungsangebot. Die zu BYD gehörende Marke Yangwang beispielsweise wagt sich mit dem Modell U9 in den Kreis der Supersportwagen. Mit Allradantrieb und zwei Motoren ausgestattet, soll dieses Modell rund 946 kW (rund 1290 PS) verfügbar machen. Und im Gespräch ist offenbar auch schon eine viermotorige Variante, die kurzfristig mehr als 2,2 MW, also in der besser bekannten Verbrennerwährung mehr als 3000 PS bereitstellen soll! Wozu dieser Leistungswahn dienen soll, wird allerdings nicht verraten, aber vielleicht ist Staustehen zwischen Zürich und Bern so einfach eindrücklicher.
Da die chinesische Regierung ihre grossangelegte Elektroauto-Produktion mit Rabatten und staatlich finanzierten Forschungsprogrammen unterstützt, haben die USA und die EU teilweise ebenfalls beträchtliche Zölle für chinesische Elektroautos festgelegt. Die Schweiz jedoch erhebt keine Strafzölle. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sich der in China heute herrschende Verdrängungskampf der Marken auch auf den europäischen Märkten fortsetzen wird. Um die Produktion für den Europa-Markt effizienter und kostengünstiger zu gestalten, will Leapmotor daher beispielsweise schon ab 2026 in einem Stellantis-Werk in Spanien Autos fertigen.
Chinesisch sind auch die in Europa schon länger bekannten Marken Smart und Polestar. Während Polestar als sportlicher Volvo-Ableger mittlerweile einen grösseren Bekanntheitsgrad erreicht hat, begann die moderne Smart-Geschichte – zwar noch immer mit Mercedes-Beteiligung – im Reich der Mitte mit ganz neuen Vorzeichen: aus klein, leicht und bescheiden motorisiert wurde in kurzer Zeit gross, schwer und sehr leistungsstark. Bisher kaum nachweisbare Spuren auf Schweizer Strassen haben Dongfeng mit den Marken Voyah und M Hero, Jaecoo, Seres, Skywell, XPeng und Zeekr hinterlassen – alle mit nur ein- oder zweistelligen Verkaufszahlen.
Abzuschätzen, auf welche chinesische Marke man als Schweizer Garagistin oder Schweizer Garagist nun setzen soll, bleibt enorm schwierig. Die neuen Automodelle aus dem Reich der Mitte können aber durchaus eine spannendes Geschäftsfeld bieten und Chancen eröffnen. Denn viele der China-Marken sind gerade dabei hierzulande ihr Netzwerk auf oder sogar schon auszubauen und suchen dazu natürlich kompetente Partner. Dank der aktuellen Marktübersicht können Sie sich selbst einen Überblick verschaffen und allfälliges Potenzial so für Ihren eigenen Betrieb vielleicht besser beurteilen.
Die grosse Übersicht zu den chinesischen Marken in der Schweiz