Sollen wir das Lenkrad loslassen?
Beim zweiten Future Mobility Forum tauschten sich Fachleute, Branchenkennerinnen und Branchekenner sowie Wissenschaftler darüber aus, ob die Zeit reif ist, um das Lenkrad loszulassen und auf das Autonome respektive fachlich korrekt Automatisierte Fahren (AF) zu vertrauen. Schliesslich können automatisierte Fahrzeuge die Verkehrssicherheit erhöhen, den Verkehrsfluss verbessern oder ganze neue Mobilitätsangebote schaffen.
Zudem ist die Schweizer Gesetzgebung weiter als diejenige in anderen Ländern und erlaubt seit dem 1. März 2025 drei Anwendungsfälle automatisierten Fahrens. So ist in dafür definierten und entsprechend signalisierten Parkhäusern ein fahrerloses Parken möglich. Führerlose Fahrzeuge dürfen auf bestimmten behördlich genehmigten Strecken verkehren. Zu guter Letzt dürfen Lenkerinnen und Lenker eines automatisierten Fahrzeugs auf Autobahnen einen Autobahnpiloten verwenden. Die Schweiz hat damit gute Chancen, zum wichtigen Testmarkt zu werden. Und selbst wenn diese Fahrzeuge keine Fahrerinnen und Fahrer mehr haben: Auch sie wollen gewartet und repariert werden. Somit bietet das AF auch für Garagistinnen und Garagisten durchaus Geschäftsfelder.
In amerikanischen und chinesischen Städten gehören Robo-Taxis bereits zum Alltag; in Europa gibt es zwar Pilotversuche, aber fahrerlose Autos und Minibusse sind immer noch eine Seltenheit. Anbieter Waymo dagegen macht mit rund 1500 Fahrzeugen allein in vier US-Städten mehr als 250000 Fahrten pro Woche! «Weltweit sehen wir eine Zweiteilung. In den USA und China werden autonome Autos im sogenannten Ride-Hailing, also für über App gebuchte Taxifahrten, genutzt. In Europa kommen die fahrerlosen Fahrzeuge primär im ÖV zum Einsatz», bestätigt HSG-Professor und Mobilitätsexperte Andreas Hermann. «Aktuell gibt es 38 Projekte in Europa; sieben sind im Betrieb, und bei 31 handelt es sich um Tests. In China werden dagegen Milliarden investiert. Wir müssen in Europa grösser denken!» Denn geteilte autonome Mobilität brauche Grösse, Mut und Partnerschaften: Schliesslich entstünde um die Fahrzeuge herum ein Ökosystem, das keiner der Player mehr allein aufbauen oder handhaben könne. «Der Wettlauf ist längst gestartet. Lasst uns gross denken, damit wir mit USA und China mithalten können», forderte Andreas Herrmann auf.
Der HSG-Experte geht zudem davon aus, dass AF deutlich weniger Player haben werde: «Im Softwarebereich wird es nur Wenige geben, die reüssieren, und nicht wie bei der Hardware, dem Auto, rund 350 bis 400 Hersteller.» Um nicht – wie bei der Batterietechnik – plötzlich auf Software-Importe angewiesen zu sein, brauche es in Europa eine Einigung und idealerweise einen eigenen Player. «Man hat es schon mal hingebracht mit Airbus bei den Flugzeugen. Aber es herrscht noch Uneinigkeit auf operativer Ebene. Und es fehlt an den grossen Test-Arealen», so Herrmann.
Selbst wenn in Europa und der Schweiz das Lenkrad nur recht zögerlich losgelassen wird, tut sich auch hier einiges. Dass Autonomes Fahren funktioniere, sei geklärt. Nun werde eruiert, welchen Nutzen es bringe. «Heikel: Es gibt nicht den einen gesellschaftlichen Nutzen», erläutert HSG-Doktorandin Tamar Wisser. «Autonomes Fahren ergänzt den ÖV auf der ersten und letzten Meile. Es erlaubt uns, langfristig die Infrastruktur vor allem in Städten neu zu denken. Und es ermöglicht Gruppen, die sonst nicht darauf zugreifen könnten, individuelle Mobilität.»
«Im Jahr 2030 wird jeder vierte Europäer 65 Jahre und älter sein», erklärte auch Sascha Meyer, CEO von Moia. Die Volkswagen-Tochter bietet unter anderem in Hamburg (D) ein On-Demand-Ridepooling mit fahrerlosen Shuttles. «Der demographische Wandel arbeitet somit fürs Autonomes Fahren. Auch im ÖV, der auf Chauffeure angewiesen ist und jetzt schon Mühe hat, seine Qualität zu halten.» Trotzdem glaubt der Moia-Chef auch, dass Menschen aufgrund der Verlässlichkeit, des Komforts und der Privatsphäre weiterhin auf ein individuelles Fahrzeug setzen. «Aktuell sehen wir noch keine Skalierbarkeit», ergänzt Meyer. Zwar seien die Zahlen von Waymo sehr beeindruckend, aber es gebe noch kein Geschäftsmodell. Autonome Fahrzeuge seien wegen der teuren Technologie nicht zwingend günstiger als Fahrzeuge mit Chauffeuren. «In der Industrie ist zudem nur einer davon überzeugt, dass Kameras allein reichen. Alle anderen erachten redundante Systeme mit Kameras und Lidar/Radar als notwendig», platziert Meyer einen Seitenhieb an Tesla-Gründer Elon Musk.
Europa hinke beim Autonomen Fahren nicht hinterher, sondern setze höhere Standards. Darum seien gewisse Marken noch nicht auf Europas Strassen unterwegs, sind Stefanie Berliner und Christian Zinckernagel vom skandinavischen Marktführer im Bereich Aufbau und Betrieb von autonomen Mobilitäts- und Logistiklösungen, Holo, überzeugt. «Ein autonomer Shuttle reicht nicht; es braucht verschiedene Player, um diese sicher zu machen. Die Software muss lokal adaptiert werden und wir müssen ihre Grenzen kennen.» Beim aktuellen Holo-Projekt in Oslo (N) habe man allein für die Erfassung und Festlegung der sieben Strassenprofile zwölf Monate gebraucht. Zudem hätten winterliche Verhältnisse Herausforderungen mit sich gebracht. Schon für normale Fahrer sei es ja schwierig auf Schnee und Eis. «Auch der Computer muss vorausschauend unterwegs sein, damit er nicht zu schnell auf einer vereisten Strasse fährt», so Christian Zinckernagel.
In Oslo sind die Robo-Taxis bereits Teil der politischen Diskussion für Mobilitätslösungen der Zukunft. So weit ist man hierzulande nicht, denn mit der gesetzlichen Regulierung ist es nicht getan, klare Rollen und Verantwortungen sind gefragt. «Autonomes Fahren ist kein Selbstzweck. Für uns geht es darum, aus der bestehenden Infrastruktur mehr herauszuholen, die Sicherheit zu erhöhen und einen besseren Verkehrsfluss zu haben», so Astra-Direktor Jürg Röthlisberger. «Autonomes Parken würden wir gerne grossflächiger zulassen. Das bringt viel Effizienz statt langes Parkplatzsuchen.» Auch im fahrerlosen ÖV sieht Röthlisberger grosses Potenzial. «Wir haben einen sensationell guten, aber eben auch teuren ÖV. Die Kostendeckung liegt bei 13 Prozent, das ist grottenschlecht.» Daher gelte es, nicht Verkehrsmittel gegeneinander auszuspielen, sondern Technologien besser zu nutzen.
Genau das versucht die Zug Alliance in der Zentralschweiz. Hier soll in den nächsten fünf Jahren ein automatisiertes Ride-Pooling mit zwölf Fahrzeugen, die von 5 bis 24 Uhr im ganzen Kanton, abgerufen werden können, starten. Das Pricing soll zwischen ÖV und Taxi liegen. Nicht schlecht, denn beispielsweise in San Francisco (USA) sind die Kosten mit durchschnittlich rund elf Dollar pro Kilometer in einem Robo-Taxi sehr happig. Um den ÖV voranzubringen, hat die SBB zudem im Furttal zwischen Zürich und Aargau ein Pilotprojekt gestartet und mit der Kartierungsphase begonnen. Frühestens 2026 sollen bis zu vier Autonome Personenwagen per App kostenpflichtig für Fahrten gebucht werden können. «Man muss Gas geben wollen, sonst passiert gar nichts», so Véronique Stephan, Leiterin Markt Personenverkehr bei der SBB. «Ich hoffe sehr, dass wir ab 2026 mit Passagieren fahren dürfen und damit einen Stein ins Rollen bringen.» Das wollen auch das Start-up Loxo und der Logistikspezialist Planzer, die in Bern City-Logistik und Paketzustellung dank eines autonomen VW ID.Buzz als mobilem Hub effizienter und schneller gestalten wollen. Es bleibt also spannend – ob mit oder auch ohne Hände am Lenkrad.