Über Sprachgrenzen hinausdenken
Zusammen mit dem Kanton setzt sich die AGVS-Sektion Genf schon länger dafür ein, durch Austauschprojekte den legendären Röstigraben zu überwinden und Lernenden die Möglichkeit zu bieten, die verschiedenen Landessprachen zu entdecken und unschätzbare Erfahrungen für die spätere Karriere zu sammeln. Im Rahmen der dritten Nationalen Austauschwoche konnte nun «MobilAuto», wie das Austauschprojekt heisst, in Anwesenheit von Bundesrat Guy Parmelin und Christophe Darbellay, Präsident der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK), sogar einen nationalen Preis entgegennehmen. «Wir sind sehr stolz auf diese Auszeichnung und werden nun zusammen mit den Lernenden gleich weiter nach Genf an die Berufsmesse fahren», erklärte Urs Burger, AGVS-Sektionspräsident Genf, zufrieden.
Doch der Austausch über Sprachgrenzen hinaus hat in der Schweiz noch Luft nach oben. Das erläuterte Olivier Tschopp, Direktor von Movetia, der nationalen Agentur zur Förderung von Austausch und Mobilität im Bildungssystem: «Dabei ist der Austausch der Schlüssel, um eine Sprache zu lernen. 4600 Schülerinnen haben dieses Jahr an der 3. Nationalen Austauschwoche mitgemacht. Das ist ein Drittel mehr als letztes Jahr.» Insgesamt 43 Projekte in allen vier Sprachregionen sorgten für spannende und lehrreiche Erfahrungen. Es sollen in den nächsten Jahren noch mehr werden, darum hat die Oertli-Stiftung mit Stiftungsratspräsidentin Anne-Catherine de Perrot erstmals einen Preis ausgelobt.
Ein junger Mann, der einst ebenfalls einen Austausch wagte und auf einem Berner Bauernhof aushalf, sitzt heute sogar in der Landesregierung: Bundesrat Guy Parmelin. «Die Schweiz ist stolz auf ihr duales Bildungssystem. Doch was macht gute Bildung wirklich aus?», fragte Parmelin bei der Preisverleihung in Bern. Seine Antwort: «Über den Tellerrand zu schauen.» Die Schweiz sei durch ihre Vielfalt – auch ihre Sprachvielfalt – so stark. Wenn Leute in einer anderen Sprachregion oder im Ausland lebten, würden sie ihren Horizont erweitern sowie ihr Selbstvertrauen und ihre Teamfähigkeit stärken. «Es muss nicht nur während der Schule die Möglichkeit zum Austausch geben», so der Bundesrat. «Im Alltag und am Arbeitsplatz lernt man eine Sprache, eine Kultur, eine Mentalität klar besser kennen als beim Vokabellernen in der Schule.» Für den Bundesrat darf Austausch zudem kein Luxus sein, den sich nur ein kleiner Teil der Schüler und Schülerinnen oder eben der Lernenden leisten könne. Und der Walliser Staatsrat Christophe Darbellay ergänzte: «Zwei Drittel der Jugendlichen in der Schweiz absolvieren eine Lehre. Daher braucht es auch hier den Austausch, von einem Tag über einige Wochen bis hin zu Monaten.»
Genau für einen solchen Austausch machte sich das Projekt «MobilAuto» der Fachstelle für Austausch und Mobilität des Kantons Genf und der AGVS-Sektion Genf stark. Das Programm ermöglicht es Lernenden der Automobilbranche, ein dreiwöchiges Berufspraktikum in einer anderen Autowerkstatt zu absolvieren – als Automobil-Fachmann/-frau im zweiten und als Automobil-Mechatroniker:in im dritten Lehrjahr. Pauline Moullet nutzte die Gelegenheit und ging ins Tessin. «Es war sehr spannend. Plötzlich ist alles neu: die Werkstatt, die Sprache, der Ort», so die Genferin. «Der Austausch hat mir Türen für die Zukunft geöffnet und vor allem das Selbstvertrauen verliehen, dass ich auch in einer anderen Sprachregion reüssieren kann.»
Ihr Kollege Bayram Gharbi hat ebenfalls gute Erfahrungen gemacht, obwohl er im Vorfeld skeptisch war, wegen der Sprachbarriere und weil er dachte, dass er nicht so gut integriert sein würde. «Nur: Das war überhaupt nicht der Fall! Ich wurde super aufgenommen und stand sogar plötzlich im Mittelpunkt.» Die Integration lief so gut, dass er nach seinem Lehrabschluss in Genf inzwischen zu seinem Austauschbetrieb nach Zürich zurückgekehrt ist. «Bayram war einer meiner Lernenden. Ich hoffe natürlich, dass er eines Tages zu unserer Garage zurückkommt mit seinen ganzen Kompetenzen, die er sich nun in der Ferne aneignet», verrät der Genfer AGVS-Sektionspräsident Urs Burger. Er trägt im Projekt «MobilAuto» dafür Sorge, die entsprechenden Arbeitsplätze in der Region Zürich oder im Tessin zu finden.
Das Genfer Austauschprojekt ist, genau wie die anderen, vor allem darauf angewiesen, dass im Hintergrund viel Arbeit geleistet wird. «Es gilt, alle Partner zusammenzubringen – von der Schule über die Betriebe bis hin zu Berufsverbänden und Behörden. Das ist nicht immer ganz einfach», gibt Catherine Sonino, Dienstchefin Austausch & Mobilität beim Genfer Bildungsdepartement, offen zu. Schliesslich gelte es, in die ohnehin schon straffe Berufsausbildung noch einen Austausch zu integrieren. Die Ansprüche an die Berufsbildung steigen, daher ist es nicht für alle Berufsbilder und Unternehmen möglich, einen Austausch vorzunehmen. Aber profitieren könnten am Schluss alle Beteiligten. «Es gibt ebenfalls einen Transfer von Arbeitspraktiken von einem Team ins andere. Und man kann es als Form der Talentförderung sehen», ergänzt Urs Burger. «Für ein Unternehmen ist es zudem eine Möglichkeit, sich in Zeiten des Fachkräftemangels als innovativer Betrieb und spannender Arbeitgeber zu positionieren.» Besonders schön, wenn solche Initiativen auch belohnt werden. Mit der wohlverdienten Auszeichnung im Gepäck konnte die Genfer Delegation an der Berufsmesse «Cité des Métiers» in den Palexpo-Hallen danach gleich beste Werbung für das innovative Autogewerbe machen.
Den zweiten Platz beim nationalen Austauschpreis sicherte sich übrigens das Projekt «E-Tandem» der Fachstelle Austausch und Mobilität des Kantons Zürich, und Rang 1 belegte das Projekt «Mobimmersiv» der kaufmännischen Berufsschule Nyon VD.