Erfahrungsaustausch der Branchen Sales und After-Sales

Wo die neue Grundbildung im Detailhandel an Grenzen stösst

Vieles funktioniert gut, doch die Abstimmung der Lernorte harzt noch. An der dritten Erfa-Tagung der AGVS-Kommission Detailhandel wurde klar, wo es klemmt und welche Schritte nötig sind.
Publiziert: 05. Dezember 2025

Von

Kai Müller


										Wo die neue Grundbildung im Detailhandel an Grenzen stösst
Reges Interesse: Zahlreiche Berufsbildende kamen in die Mobilcity nach Bern, um über den Alltag mit Lernenden zu sprechen. Foto: AGVS-Medien

Wo Neues entsteht, braucht es Geduld – bis Abläufe sitzen, Kinderkrankheiten verschwinden und Fehler behoben sind. Umso wichtiger ist der Austausch auf Augenhöhe mit denen, die im gleichen Boot sitzen: um Probleme zu benennen, Lösungen zu finden und Erfahrungen zu teilen, die auch anderen helfen. 

In der Berufsbildung ist das nicht anders, vor allem dann nicht, wenn mehrere Lernorte möglichst reibungslos zusammenspielen sollen. Das weiss auch der AGVS, darum hat er Mitte November erneut zur Erfa-Tagung der Kommission Detailhandel für Automobil Sales und After-Sales geladen und so den Startschuss für weitere, gemeinsam erarbeitete Verbesserungen gegeben. 

In der Mobilcity Bern waren über hundert Berufs- und Praxisbildner, Prüfungs- und Chefexperten sowie Leitende der überbetrieblichen Kurse (üK) dabei, dazu zwei Lernende und ein Absolvent, der seine EFZ-Lehre im Sommer abgeschlossen hat. Sie diskutierten am Morgen in Workshops und am Nachmittag in der grossen Runde offen über die Herausforderungen im Alltag und über das neue Qualifikationsverfahren der Detailhandelsfachleute EFZ, das 2025 erstmals seit der Reform vor drei Jahren zum Einsatz kam.

Vieles läuft gut. Ein Votum aus dem Plenum gegen Ende der Veranstaltung machte jedoch deutlich, wo es hakt: «Der Austausch war super, es wurden einige Missstände aufgezeigt. Was erschreckend ist: Wie schlecht Berufsfachschule, üK und Lehrbetriebe miteinander kommunizieren. Das muss dringend verbessert werden, schliesslich haben wir Lernende zu führen.»

 

Eine spezielle Branche

Die überbetrieblichen Kurse sind eine der wenigen Stellschrauben, mit denen die Kommission die Ausbildung auf die Anforderungen der Branche abstimmen kann. Für die angehenden Detailhandelsfachleute EFZ Automobil Sales und After-Sales ist das besonders relevant, denn der Dachverband Bildung Detailhandel Schweiz (BDS) definiert für alle 22 Branchen dieselben Handlungskompetenzen. Dass dies nicht für alle Branchen ideal ist, liegt nahe. 

Stefan Krempel, üK-Leitender an der STFW und zuständig für den After-Sales-Workshop, zeigte die Unschärfe mit einem Vergleich treffend auf: «Lernende in den Branchen Schuhverkauf, Sportartikel oder Do-it-yourself können schon in den ersten Tagen Kundinnen und Kunden beraten. Bei uns im Automobilgewerbe ist das deutlich schwieriger umzusetzen.»

Im After-Sales gibt es im Ersatzteilbereich nur wenige externe Kunden – und noch weniger, die ein klassisches Beratungsgespräch benötigen. «Im Normalfall wissen sie, was sie wollen und was es kosten darf, und wollen den Kauf zügig abwickeln», erläuterte Krempel. Hier müssten die Betriebe umdenken und ihre Lernenden – insbesondere in der Branche After-Sales – auch im Kundendienst einsetzen, damit diese Erfahrungen in Beratungsgesprächen sammeln können.  

Im Sales sieht die Situation anders aus: Um Kundschaft beim Autokauf kompetent zu beraten und zu einem Abschluss zu führen, braucht es umfassendes Wissen – über das Fahrzeug selbst, aber auch zur Verkaufspsychologie. Schliesslich können Fehler schnell Umsatz kosten. Jessica Bünter, die als Verkaufsberaterin bei der Merbag in Schlieren ZH im Neuwagenverkauf arbeitet, sagte: «Wir können Lernende nicht einfach auf Kunden loslassen. Die Herausforderung besteht darin, sie behutsam an diese Aufgaben heranzuführen.» 

Grosse Unterschiede bei Lernenden

In der Realität führt das im Sales und After-Sales oft zum gleichen Resultat: Viele Lernende haben noch zu wenig Gelegenheiten, die geforderten Handlungskompetenzen in der Praxis zu üben. Bünter, die als Expertin bereits mehrere praktische Sales-Prüfungen abgenommen hat, beobachtet in den ersten Qualifikationsverfahren der neuen Ausbildung deutliche Unterschiede: «Lernende aus grossen Bertrieben wie Amag oder Emil Frey sind in der Regel sehr gut vorbereitet. Da merkt man, dass es klare Strukturen gibt und sie schon früh am Kunden arbeiten dürfen. Es gab solche, die im 3. Lehrjahr bereits ihren Kundenstamm hatten. Andere aus kleineren Betrieben wiederum sagten uns, dass sie noch nie verkaufen durften.»

Christian Wyssmann, AGVS-Geschäftsführer und Leiter des Sales-Workshops, hat bei den Lernenden generell festgestellt, «dass sie die Bedürfnisanalyse ein bisschen vernachlässigen». Er führt das unter anderem darauf zurück, dass sich die Jungen oft nicht trauen, viele Fragen zu stellen – aus Angst, Kundinnen und Kunden zu nerven.

Apropos Prüfung: Wenn es um die Analyse der Warenpräsentation geht, ist im Sales klar, dass sie im Showroom stattfindet. In der Branche After-Sales hingegen kann das zur Herausforderung werden, weil es Betriebe gibt, die schlichtweg keine Warenpräsentation haben. Thomas Aebi, der als Präsident der Kommission durch den Tag führte, sagte mit Nachdruck: «Wenn man keine hat, kommt man nicht darum herum, eine einzurichten, damit die Lernenden trainieren können.» Die Auswahl müsse nicht unzählige Artikel beinhalten, sondern eher «klein, fein, saisonal und gut sein – etwas, mit dem man arbeiten kann».

 

Ruf nach mehr Lehrstellen

Aebi verband dies mit einem Appell an die Betriebe, Ausbildungsplätze anzubieten. «Denkt darüber nach, ob ihr das bei euch einrichten oder institutionalisieren könnt», sagte er. «Gerade im Sales sind wir immer wieder gezwungen, Quereinsteiger auszubilden. Dabei haben wir mit der neuen Grundbildung die Chance, Fachkräfte aus der eigenen Branche zu entwickeln und dieser so zu dienen.»

Die Anwesenden waren sich einig: Das Interesse beim Nachwuchs ist vorhanden, das Lehrstellenangebot hält aber nicht mit der Nachfrage Schritt. «In der Werkstatt und im Ersatzteillager bilden wir quasi seit 100 Jahren Lernende aus, aber Sales ist etwas komplett Neues. Darum ist das für Betriebe schon eine Herausforderung», sagte Olivier Maeder, AGVS-Geschäftsleitung Bereich Bildung. Der AGVS weist Garagisten regelmässig und auf verschiedenen Kanälen darauf hin, dass «wir sehr dankbar wären, wenn wir mehr Lehrstellen hätten».

Ein Beispiel aus der Praxis ist der eingangs erwähnte Absolvent. Nico Widmer war Büroassistent mit EBA-Abschluss, doch ihm fehlte im Backoffice der Kontakt zu Kundinnen und Kunden. Also begann der «riesige Autofan», wie er sich selbst nennt, die Grundbildung als Detailhandelsfachmann EFZ Automobil Sales bei der Amag Bern. Heute arbeitet der 21-Jährige bei der Amag Thun im Occasionsverkauf. 

Für ihn ist entscheidend, dass ein Betrieb «Lernende an die Hand nimmt, ein Programm ausarbeitet und klare Ziele setzt, damit sie wissen, was ihre Aufgaben sind». Jessica Bünter formuliert es so: «Betriebe sollen die Jungen nicht einfach als günstige Arbeitskraft nutzen, sondern sie wirklich teilhaben lassen am Autoverkäufer-Alltag. Am besten wäre, wenn sie die erfahrensten Verkäufer begleiten könnten.»

 

Kommission und Betriebe sind gefordert

Ob diese Aufrufe fruchten, muss sich erst noch zeigen. Sicher ist hingegen, dass die angesprochenen Unklarheiten und Anliegen Gehör finden. Die AGVS-Verantwortlichen versicherten, dass sie Themen wie Branchenkenntnisse, Anpassungen auf der Lernplattform Konvink sowie den Informationsfluss zwischen üK und Betrieben prüfen und entsprechende Verbesserungen angehen wollen. Nun sind die Betriebe und die Kommission am Zug. Letztere will für alle gute und praktikable Lösungen finden – und die Betriebe müssen den Lernenden die Gelegenheit geben, Verkaufs- und Beratungsgespräche aktiv zu üben. 

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