Fünf Automobildiagnostikerinnen

«Stehenbleiben ist der grösste Fehler»

Mit technischer Kompetenz, Selbstbewusstsein und einer grossen Portion Humor behaupten sich fünf junge Frauen im männerdominierten Lehrgang Automobildiagnostiker:in mit eidg. Fachausweis am Weiterbildungszentrum Lenzburg (wbz).
Publiziert: 29. Mai 2025

Von

Ilir Pinto


										«Stehenbleiben ist der grösste Fehler»
(v. l. n. r.) Leonie Ludwig, Naomi Kaufmann, Simea Lutz, Sina Stocker und Gloria Toth.

Es ist 9.20 Uhr, grosse Pause, die Klasse strömt aus dem Zimmer. Die Weiterbildungsabsolventinnen und -absolventen lachen und spassen untereinander – die Stimmung ist ausgelassen. Die Sonne lädt zum Draussen-Verweilen ein, und so begeben sich die jungen Leute aufs Dach zum Fototermin. Sie sind angehende Automobildiagnostikerinnen und -diagnostiker, daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass ein Grossteil der 24-köpfigen Klasse aus Männern besteht. Doch auch fünf Frauen zählen dazu – ein Anteil von knapp über 20 Prozent. Das liegt deutlich über dem Frauenanteil im Autogewerbe – erst recht bei den technischen Autoberufen.

Fünf Frauen in einer Klasse des Lehrgangs Automobildiagnostiker:in mit eidg. Fachausweis sei aktuell schweizweit wohl einmalig, sagt Lehrgangsleiter Thomas Tschumi. Er unterrichtet diesen Lehrgang gemeinsam mit Markus Erni, Hermann Gallati und Andreas Senger am Weiterbildungszentrum Lenzburg, kurz wbz Lenzburg. Dieses ist bei Frauen offenbar beliebt. Aber wieso? Einen Grund sieht Tschumi in der Sichtbarkeit von Frauen in diesem Lehrgang. «Artikel wie dieser senken die Hemmschwelle bei anderen Frauen, sich für eine Weiterbildung in einem technischen Beruf zu entscheiden», sagt er.

Auf dem Schulhausdach scheint die Sonne, die Pause ist in vollem Gange. Zwar sind die fünf Frauen in der Unterzahl, doch die Frage, ob sie ihren Platz in der Klasse gefunden haben, erübrigt sich; es ist überdeutlich. Davon zeugt die Souveränität, mit der sie sich im Klassenverband bewegen und einbringen – nicht nur in der Pause, sondern auch im Unterricht. Und die Energie, die sie gemeinsam ausstrahlen, ist phänomenal: Im Gruppeninterview kommen die Antworten zudem wie aus der Pistole geschossen.

 

«Man spart massenhaft Geld»

Wieso haben sich die fünf jungen Frauen für eine Karriere im Autogewerbe entschieden? «Man spart massenhaft Geld», sagt Simea Lutz und lacht. Sie erklärt: «Wir können Defekte am eigenen Auto selbst reparieren und müssen nie eine Werkstatt aufsuchen.» Spass beiseite. Gerade als Frau werde man eher unterschätzt und über den Tisch gezogen, so Lutz. «Ich habe schon früh handwerkliches Geschick bewiesen und konnte mich auch für defekte Haushaltsgeräte oder Computer begeistern und sie reparieren», sagt Gloria Toth.

Leonie Ludwig bezeichnet die Schnupperlehre als den ausschlaggebenden Moment. Sie habe damals auch als Polymechanikerin oder Landschaftsgärtnerin geschnuppert, doch allein die Schnupperlehre als Automobil-Mechatronikerin vermochte sie zu begeistern. Sie sagt: «Man lernt viel über die Mechanik und Technik eines Autos, und auch über das Handwerkliche und den Kundenkontakt.» Dazu ergänzt Naomi Kaufmann: «Es ist bemerkenswert, wie vereinfacht die Kunden sich die Funktionsweise ihres Autos oft vorstellen.»

Einen anderen Punkt wirft Simea Lutz ein: «Wir bauen Selbstsicherheit auf.» Kundinnen und Kunden hätten sie schon gefragt, ob sie alle Schrauben angezogen hätte – ein allgemeines Lachen bricht aus. Die anderen vier bestätigen, ähnliche Fragen zu hören zu bekommen. Ob solche Fragen etwas mit der Tatsache zu tun hätten, dass sie Frauen sind? «Oh ja», so die prompte Antwort von allen fünf. Sina Stocker ergänzt: «Es ist ein cooles Gefühl, jemanden des Besseren zu belehren, wenn man unterschätzt wird.» Die fünf angehenden Automobildiagnostikerinnen geben weitere Beispiele zum Besten und amüsieren sich köstlich darüber. Darauf angesprochen, dass sie solche Dinge mit Humor zu nehmen scheinen, entgegnet Naomi Kaufmann: «Das muss man auch! Alles andere wäre zu anstrengend.»

Tiefer in die Materie

Und was trieb die fünf sichtlich motivierten Automobil-Mechatronikerinnen dazu, sich weiterzubilden? Die Höhere Berufsbildung Automobildiagnostiker:in mit eidg. Fachausweis erlaube es ihnen, noch tiefer in die Materie zu gehen, erklärt Gloria Toth. Das Berufsbild sei heute stark von Elektronik geprägt. «Da wird man als Diagnostikerin oder Diagnostiker wirklich gefordert.» Fehler in elektrischen Systemen seien häufig komplex, elektrische Bauteile müssten zerlegt und genau geprüft werden. Auch eröffne der Abschluss neue Möglichkeiten, so könne man zum Beispiel mit dem Abschluss neu auch an Berufsschulen unterrichten.

Leonie Ludwig erzählt: «Während meiner Grundbildung hatte ich mir nie vorgestellt, den ‹Diagnostiker› zu machen, aber nach dem Angebot meines jetzigen Chefs und aufgrund eines Gesprächs mit meinem Berufsschulkollegen haben wir uns entschieden, die Herausforderung anzunehmen.» Heute ist der erwähnte Kollege ihr Mitschüler. Sie fährt fort: «Meine Motivation ist es, mich ständig weiterzubilden, um ‹up to date› zu sein, und nicht stehen zu bleiben. Durch meine Berufswahl habe ich viele neue Kollegen kennengelernt, die für mich wie eine zweite Familie sind.»

 

Ansprechenderes Erscheinungsbild

Zurück zu Thomas Tschumi. «Das Autogewerbe entfernt sich von Klischees wie schmutzigen Händen», sagt der Lehrgangsleiter. Werkstätten würden immer sauberer, es gebe Arbeitshilfen wie zum Beispiel Radheber – wobei diese dem Schutz der Gesundheit und der Sicherheit dienen – und die Berufe würden immer technischer. Das habe zu einem ansprechenderen Erscheinungsbild der Branche beigetragen. Zudem sei eine wachsende Affinität fürs Mechanische und Technische bei jungen Frauen spürbar. Allenfalls spiele die Erziehung hier mit hinein.

Allgemein machen Werkstätten einen Wandel durch. Sie werden nicht mehr nur mit Dreck und Muskelkraft assoziiert. Nur die fünf motivierten Frauen stehen exemplarisch für eine Branche im Wandel. Mit ihrem Können und ihrer Motivation leisten die angehenden Diagnostikerinnen einen wertvollen Beitrag für die Zukunft des Autogewerbes. In Zeiten des Fachkräftemangels kann sich das Gewerbe auf jede einzelne Absolventin einer Grundbildung oder Höheren Berufsbildung freuen.

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