Jugendliche zwischen Förderung und Selektion

Stellwerktest und Co.

Jugendliche zwischen Förderung und Selektion

17. November 2016 autoberufe.ch - Was taugen Schulnoten bei der Beurteilung von zukünftigen Lernenden? Eine Podiumsdiskussion in Zürich zeigte vor allem eines: Die Leistungstests der Branchen und Firmen haben ihre Existenzberechtigung.
 
Die Diskussion unter dem Titel «Schulzeugnisse und Stellwerktest verstehen» lockte gut und gerne 300 Interessierte in den Zürcher Technopark. Claudia Coray vom Lehrmittelverlag St. Gallen erklärte den von ihr mitentwickelten Stellwerktest und warnte davor, den Test zur Auswahl von Lehrstellen-Bewerberinnen und Bewerbern zu nutzen: «Stellwerk darf nicht als Selektionsinstrument betrachtet werden; es ist ein Test für die individuelle Förderung.»
 
Dem hielt Rolf Siebold, Leiter Berufsbildung der AIT-Gruppe (Alpiq), entgegen, die Schulnoten korrellierten in den allermeisten Fällen nicht mit den firmeneigenen Leistungstests. Oft würden sich die firmeneigenen Tests und die Schulnoten «diametral widersprechen», so Siebold: «Dann ist der Stellwerktest das letzte Mittel, um zu zeigen, wo der Kandidat steht.» Schliesslich sei es seine gesellschaftliche Verantwortung, Lehrabbrüche möglichst zu verhindern. Siebold ist verantwortlich für 520 Lernende bei der AIT-Gruppe. Er verknurre alle Elektriker-Lehrlinge zu einem Mathematikkurs: «Damit füllen wir die Lücken und konnten die Stützkurs-Teilnahmen massiv senken.»
 
Auch für Reto Marti, Verantwortlicher Berufsbildung bei Dosenbach-Ochsner AG, sind die Schulnoten nur ein sekundäres Kriterium bei der Rekrutierung von Lernenden: «Wir achten auf die Vollständigkeit der Bewerbungsunterlagen und auf das Motivationsschreiben.» Trotzdem schätze er das Schulzeugnis, weil es die Leistung über einen längeren Zeitraum abbilde: «Man kann mal eine Matheprüfung verhauen, hat aber noch fünf weitere Chancen, das wettzumachen.»
 
Der Mensch hinter der Note
 
Tina Mathey ist Lehrerin einer 2. Sekundarschule B in der Stadt Zürich. Sie forderte eindringlich, den Menschen hinter der Schulnote zu sehen: «Wir haben es mit Individuen zu tun, die viel zu früh in ein Schema gepresst werden. Die Kinder stecken in der Pubertät. In diesem Alter gilt das primäre Interesse vielleicht nicht gerade der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten…» Dem pflichtete Reto Marti bei: «Der Entscheid der Berufswahl kommt zum fiesesten Zeitpunkt. Die Jugendlichen haben in diesem Alter den Kopf voll mit anderem.»
 
Und so läuft beim AGVS
 

Auch die Lehrbetriebe beim Auto Gewerbe Verband Schweiz (AGVS) wollen sich bei der Selektion von Lernenden nicht (nur) auf die Schulnoten verlassen. «Zentrales Mittel bleibt der AGVS-eigene Eignungstests», erklärt Olivier Maeder, Bereichsleiter Aus- und Weiterbildung. Mit einem Punktesystem wird abgeklärt, ob sich ein Bewerber für eine Lehre als Mechatroniker, als Fachmann oder als Assistent eignet… oder gar nicht. Der Test habe sich bewährt, sagt Olivier Maeder: «Aber er zeigt nur an, ob ein Lernender die Fähigkeiten hat, die Berufsschule zu meistern.» Ob er von seinen Fertigkeiten und seinen charakterlichen Eigenschaften in eine Werkstatt passt, das stehe auf einem anderen Blatt. Aufschluss darüber gibt erst das fünftägige Schnupperpraktikum.

Im Zusammenhang mit der Revision der Grundbildung könnte der Eignungstest demnächst eine Anpassung erfahren. Olivier Maeder: «Der Anteil des Mathematik-Unterrichts in der Berufsschule wird markant reduziert. Wir diskutieren die Auswirkungen auf unseren Test.» Egal, ob mit viel Mathematik in der Berufsschule oder mit Singen und Klatschen: Die Problematik des Zeitpunktes für die Berufswahl bleibt. Er habe sich am Rande der EuroCup mit einem deutschen Kollegen unterhalten, erzählt Olivier Maeder: «Dort liegt das Durchschnittsalter beim Lehrantritt bei 19 Jahren, in der Schweiz zwischen 15 und 16.» In der rasanten kognitiven Entwicklung eines oder einer Pubertierenden sind das Welten…
 
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