Agentursysteme im KFZ-Bereich – Kartellrechtliche Grenzen in der Schweiz und der EU

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Das ist die Ausgangslage
Entwicklungen in der EU
In der EU stellen immer mehr Hersteller und Importeure ihre Vertriebssysteme von Händlerverträgen auf so genannte «Agenturverträge» um. arrow_down.png
Auswirkungen auf die CH
Es ist davon auszugehen, dass die Hersteller bzw. Importeure früher oder später auch die Vertriebssysteme in der Schweiz umstellen.
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Folgen für Händler in der CH ab 2023
Für Händler ist eine Umstellung mit wirtschaftlichen Risiken aber auch Chancen verbunden.
Entscheidend für die Händler sind die Verhandlungen mit Herstellern zur Ausgestaltung des Vertriebssystems.
 

Kartellrecht: Keine belastbaren Analysen

  • Die kartellrechtlichen Rahmenbedingungen eines Agentursystems wurden bisher weder in der Schweiz noch
  • in Deutschland systematisch untersucht.
Der AGVS und die in der Markenkommission vereinigten Markenhändlerverbände haben dazu ein umfassendes Rechtsgutachten erstellen lassen. 
 

Gutachten: Orientierungshilfe für Händler

  • Für die Schweizer Kfz-Vertriebspartner von Markengaragen wird es im Hinblick auf die wichtigen Vertragsverhandlungen zu neuen Händlerverträgen unumgänglich sein, die kartellrechtlichen Rahmenbedingungen zu kennen, um ihre Interessen bestmöglich durchsetzen zu können.
  • Das Gutachten soll dabei als pragmatische Orientierungshilfe dienen.
     

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Was sind die Herausforderungen

EU

Die Vertikal-GVO der EU-Kommission ist entscheidend für die Unterscheidung zwischen echter und unechter Agentur. Die Vertikal-GVO wurde Mitte 2022 revidiert (neue Rechtsetzung). Dies bedeutet, dass
  • das Gutachten der aktuellen Rechtssetzung folgt,
  • gleichzeitig noch keine etablierte Rechtsprechung besteht.
     

Schweiz

Gestützt auf die neue Vertikal-GVO hat die Wettbewerbskommission die CH-Vertikalbekanntmachung im Dezember 2022 angepasst.
  • Die revidierte Vertikalbekanntmachung der Weko orientiert sich – mit wenigen Ausnahmen – an der Vertikal-GVO.
  • Wie für das EU-Recht heisst dies: eine aktuelle Praxis besteht nicht.
     

Keine Präjudizen

  • Das Agentursystem war (soweit ersichtlich) bisher nicht Gegenstand von Gerichtsverfahren.
  • Gerichtliche Urteile, welche die kartellrechtlichen Rahmenbedingungen konkret im Bereich der Agentur im Kfz-Handel zumindest teilweise präzisieren, sind nicht vorhanden.
     

Keine bestehenden Analysen

  • Die Gutachter beginnen im Bereich der Agentur im Kfz-Vertrieb «auf der grünen Wiese».
  • Denn weder in der Schweiz noch in Deutschland bestehen rechtliche Analysen, Gutachten oder andere (wissenschaftliche) Papers, auf welche zurückgegriffen werden kann.
     

Keine konkreten Vertragsmuster

  • Vertragsmuster zu Agenturverträgen konnten trotz Bemühungen (des AGVS und der Gutachter) nicht erhältlich gemacht werden.
  • Untersucht werden somit die wesentlichen Befürchtungen und Kritiken gemäss Berichten aus der Branche.
     

Wissenschaftlich vs. praxisorientiert

  • Das Gutachten soll einerseits den AGVS-Mitgliedern eine praktische Orientierungshilfe bieten und andererseits den Ansprüchen eines wissenschaftlichen Gutachtens genügen.
  • Neben dem (wissenschaftlichen) Gutachten gibt es daher einen praxisorientierten Teil, welcher die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenfasst (Kapitel 6. des Gutachtens).
     

Branchengutachten vs. Einzelfall

Das Gutachten soll allen AGVS-Markenmitgliedern eine gleichsam wertvolle Orientierungshilfe für kommende Verhandlungen mit dem Hersteller bieten.

Es ist daher als Branchengutachten zu verstehen, dass eine gewisse Allgemeingültigkeit beibehalten muss. Dies bedeutet:
  • Ziel des Gutachtens kann es nicht sein, abschliessend festzulegen, was Hersteller genau dürfen und was nicht,
  • sondern vielmehr die Grenzen bzw. den Handlungsspielraum aufzuzeigen, innerhalb welcher die Hersteller sich bewegen dürfen.
Ob ein konkretes Verhalten / eine Vertragsklausel zulässig oder unzulässig ist, ist im Einzelfall zu entscheiden. Das heisst:
  • Das Gutachten soll Allgemeingültigkeit und
  • Konkretisierung zum Nutzen aller Mitglieder vereinen.
     
     
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Wie lauten die wichtigsten Erkenntnisse?

Echte vs. Unechte Agentur: Unterschied

  • Entscheidend für die Unterscheidung in echte und unechte Agentur ist die Tragung der wesentlichen geschäftlichen Risiken.
  • Trägt der Hersteller alle (!) wesentlichen Risiken, besteht eine echte Agentur; trägt der Vertriebspartner schon nur ein wesentliches Risiko, besteht eine unechte Agentur.
  • Wesentliche Risiken betreffen folgende Bereiche:
    - vertragsspezifische Risiken (Lager, Lieferkosten, Zahlungsausfall, Finanzierung etc.)
    - marktspezifische Investitionsrisiken (Ausrüstung, Räumlichkeiten, CI, Werbung, IT-Hersteller etc.)
    - Risiken in Verbindung mit anderen verlangten Tätigkeiten (Logistik, Übergabetätigkeit, Auslieferungsinspektion, Verkauf anderer Produkte im Handelsgeschäft etc.)
     

Auswirkungen der Unterscheidung: Kartellgesetz

Echte Agentur: Verstösse gegen das Verbot von Kartellabreden und Marktmachtmissbrauch sind nicht möglich, denn der Hersteller / Importeur darf als Träger aller Risiken auch alle Wettbewerbsparameter festlegen.
  • Art. 5 KG (unzulässige Wettbewerbsabreden) und Art. 7 KG (Marktmachtmissbrauch) kommen nicht zur Anwendung.
  • Zulässig ist somit insbes. auch die Festlegung des Endkundenpreises.
Unechte Agentur: Unzulässige Kartellabreden und Marktmachtmissbrauch sind möglich, denn der Händler agiert als selbständiges und unabhängiges Unternehmen – und trägt die Risiken.

 

Relevanz Kartellgesetz

  • Nach Art. 5 KG sind Abreden, die den Wettbewerb auf einem Markt für bestimmte Waren oder Leistungen erheblich beeinträchtigen und sich nicht durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz rechtfertigen lassen, sowie Abreden, die zur Beseitigung wirksamen Wettbewerbs führen, unzulässig.
  • Nach Art. 7 KG verhalten sich Marktbeherrschende und relativ marktbeherrschende Unternehmen unzulässig, wenn sie durch den Missbrauch ihrer Stellung auf dem Markt andere Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs benachteiligen oder die Marktgegenseite benachteiligen.
     

Agenturmodell (echt oder unecht) mit Nicht-Vertragshändlern: Kartellrechtliche Voraussetzungen (Neuabschluss)

  • Echter Agent: Kartellabreden und Marktmachtmissbrauch sind nicht möglich.
  • Unechter Agent: Kartellabreden sind möglich und müssen vom Hersteller und Händler berücksichtigt werden.
     

Umstellung auf das Agenturmodell (echt oder unecht): Kartellrechtliche Voraussetzungen

  • Ja: Grundsätzlich ist eine Umstellung zulässig.
  • Aber: Folgende Grundsätze müssen vom Hersteller berücksichtigt werden:
    - Die markenspezifischen Investitionen müssen beim Wechsel ins Agenturmodell bzw. der Ausarbeitung der entsprechenden Vertragskonditionen berücksichtigt werden.
    - Die Vertragskonditionen, die vom Hersteller vorgelegt werden, dürfen nicht derart unangemessen sein, dass faktisch von einer Geschäftsverweigerung ausgegangen werden muss.
    - Der Hersteller muss alle Händler und deren markenspezifischen Investitionen nach den gleichen Grundsätzen entschädigen.

     

Unechter Agent: Unzulässige Wettbewerbsabreden

  • Der Verstoss gegen Art. 5 KG ist durch Sanktionen bedroht.
  • Konkret bergen insbesondere folgende Elemente bei Agenturverträgen kartellrechtliche Risiken hinsichtlich Wettbewerbsabreden:
    - Preisbindung gegenüber dem unechten Agenten 
    - Provisionsgestaltung gegenüber dem unechten Agenten
     

Unechter Agent: Risiko Markmachtmissbrauch

  • Ein Verstoss gegen Art. 7 KG führt zu Sanktionen gegenüber dem Hersteller.
  • Konkret bergen insbesondere folgende Elemente bei Agenturverträgen Risiken hinsichtlich Markmachtmissbrauch:
    - Kartellrechtliche Grenzen bei der Umstellung auf des Agenturmodell 
    - Kartellrechtliche Grenzen für einen gemischten Vertrieb
    - Kartellrechtliche Grenzen bei der Einschränkung des Occasionsgeschäfts
    - Kartellrechtliche Grenzen für die Einschränkungen des Leasinggeschäfts
    - Kartellrechtliche Grenzen für die Herabsetzung von Standards
     
     
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Was gilt es rechtlich zu beachten?

Rechtliche Möglichkeiten bei missbräuchlichen Vorgehensweisen bzw. Vertragsklauseln von Herstellern / Importeuren:

  • Anzeige WEKO: Bei der WEKO können Meldungen (auch anonym) gemacht werden, sollte sich der Hersteller kartellrechtlich unzulässig verhalten.
  • Anwalt beiziehen: Rechtsanwälte mit kartellrechtlicher Expertise können Sie unterstützen, wenn sich Hersteller kartellrechtlich unzulässig verhalten.
  • Vorsorgliche Massnahmen: Beim zuständigen Gericht können vorsorgliche Massnahmen beantragt werden, um die Händler zu schützen.
     
 
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Ergänzende Punkte

Stärkung der Verhandlungsposition: WEKO-Beratung

  • Das Sekretariat der WEKO bietet die Möglichkeit an, konkrete Verträge zu prüfen und ihre Übereinstimmung mit dem Wettbewerbsrecht zu prüfen (Beratung).
  • Mit der Überprüfung eines Mustervertrages durch das Sekretariat der WEKO und ihrer Bestätigung, dass dieser kartellrechtskonform ist, wäre man den Herstellern in Verhandlungen einen Schritt voraus und könnte die Verhandlungsposition der Händler stärken.
  • Eine solches Ergebnis einer WEKO-Beratung könnte sodann auch auf europäischer Ebene eingebracht werden.
     

Handel mit Occasionen in Herstellerhand (Vertriebspartner befürchten Konkurrenzierung im Occasionshandel)

  • Die konkreten kartellrechtlichen Grenzen in Bezug auf die Marktentwicklungen beim Occasionshandel wären separat zu untersuchen (anderer Markt als der Neuwagenmarkt).
    Im Zusammenhang mit dem Neuwagenvertrieb gelten die vorgetragenen Erkenntnisse; etwa betreffend Risikoverteilung (echter Agent darf keine Risiken im Zusammenhang mit Occasionen tragen) oder Preisfestsetzung (unechter Agent muss Eintauschpreis frei mit Kunden verhandeln können).
     

Besonderheiten beim Dualvertrieb des Importeurs (an Händler und Endkunden)

  • Speziell: Beim Dualvertrieb (z.B. Emil-Frey) ist insbesondere der Informationsaustausch zwischen Händlern und Importeur kritisch.
  • Allgemein: Grundsätzlich ist sodann besonderes Augenmerk auf die Gleichbehandlung unter den Händlern (keine Diskriminierung der unabhängigen Händler betr. Bonus etc.) zu legen.
     

Marktentwicklung: Fokus After-Sales

  • Die Entwicklungen im Automobilmarkt, insbesondere der digitale Vertrieb und die Einführung von echten Agenturmodellen erfolgen zulasten des Sales-Geschäfts der Händler.
  • Im kundennahen After-Sales Geschäft liegen langfristig die grössten Chancen der Händler, weiterhin wichtiger Player in der Autobranche zu bleiben.

Relative Marktmacht im After-Sales

  • Die Händler haben seit 1.1.2022 die Möglichkeit, gestützt auf die relative Marktmacht Ersatzteile etc. zu den günstigeren Konditionen des Auslandes zu erhalten.
  • Der Ersatzteil-Bezug könnte hierbei auch gemeinschaftlich organisiert werden.
     
     
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Welche wichtigen Fragen stellen sich?
Rechte und Pflichten: Kann der Hersteller die Umstellung auf das Agenturmodell (echt oder unecht) erzwingen?
  • Ja: Grundsätzlich ist die Umstellung zulässig.
     
  • Aber: Folgende Grundsätze müssen vom Hersteller berücksichtigt werden:
    - Die markenspezifischen Investitionen müssen beim Wechsel ins Agenturmodell bzw. der Ausarbeitung der entsprechenden Vertragskonditionen berücksichtigt werden.
    - Die Vertragskonditionen, die vom Hersteller vorgelegt werden, dürfen nicht derart unangemessen sein, dass faktisch von einer Geschäftsverweigerung ausgegangen werden muss.
    - Der Hersteller muss alle Agenten und deren markenspezifische Investitionen nach den gleichen Grundsätzen entschädigen.
     
Provision: Was muss der Hersteller gegenüber dem unechten Agenten beachten?
  • Höhe: Die Provision muss
    - nicht nur die Kosten und Margenansprüche im Zusammenhang mit den einzelnen Kaufgeschäften abdecken,
    - sondern auch die allgemeinen Vertriebskosten bzw. nicht übernommenen Risiken angemessen abdecken, soweit diese Risiken nicht anderweitig kompensiert werden.
     
  • Gleichbehandlung: Gleichartige unechte Agenten haben Anspruch auf dieselbe Provision. Eine unterschiedliche Behandlung gleichartiger unechter Agenten muss der Hersteller begründen können.
     
Gemischter Vertrieb: Darf der Hersteller gegenüber dem unechten Agenten einen gemischten Vertrieb durchsetzen?
  • Ja: Grundsätzlich ist diese Vorgabe zulässig.
     
  • Aber: Folgende Grundsätze müssen vom Hersteller berücksichtigt werden:
    - Die Provision (im Agenturmodell) ist so gering, das der unechte Agent den Verkauf der im Agenturmodell vertriebenen Modelle mit seiner Marge aus dem Vertragshändlergeschäft quersubventionieren muss.
    - Die markenspezifischen Investitionen des unechten Agenten werden beim gemischten Vertrieb nicht angemessen berücksichtigt.
    - Die Voraussetzungen zum Vertrieb der gesamten Modellpalette dürfen nicht strukturell gewisse unechte Agenten ohne sachlichen Grund bevorzugen und andere benachteiligen.
     
Occasionsgeschäft: Darf der Hersteller gegenüber dem unechten Agenten das Occasionsgeschäft einschränken oder verbieten?
  • Verbot unzulässig: Ein Verbot des Occasionsgeschäft durch den Hersteller gegenüber dem unechten Agenten dürfte kartellrechtlich unzulässig sein
     
  • Einschränkung möglich: Die Einschränkung des Occasionsgeschäfts darf aber nicht strukturell gewisse unechte Agenten ohne sachlichen Grund bevorzugen und andere benachteiligen (Gleichbehandlung).
Leasinggeschäft: Darf der Hersteller gegenüber dem unechten Agenten das Leasinggeschäft einschränken?
  • Konditionen: Sind die Konditionen der vom Hersteller vorgegebenen Leasinggesellschaft schlechter wie diejenigen, welche der unechte Agenten bei der Leasinggesellschaft seiner Wahl erhält, ist die Vorgabe des Hersteller zur Zusammenarbeit mit „seiner“ Leasinggesellschaft kartellrechtlich unzulässig.
     
  • Gleichbehandlung: Die Voraussetzungen zur Zusammenarbeit mit Leasinggesellschaften dürfen nicht strukturell gewisse unechte Agenten ohne sachlichen Grund bevorzugen und andere benachteiligen
     
Standards: Darf der Hersteller gegenüber dem unechten Agenten die Standards herabsetzen?
  • Ja: Grundsätzlich ist die Herabsetzung der Standards zulässig.
     
  • Aber: Die Voraussetzungen zur Herabsetzung der Standards dürfen nicht strukturell gewisse unechte Agenten ohne sachlichen Grund bevorzugen und andere benachteiligen
     
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