«Die grosse Herausforderung für den Garagisten ist heute nicht das Elektrofahrzeug»

Mit über 500 000 Artikeln im Sortiment erwirtschaften sie mehr als eine Milliarde Franken Umsatz pro Jahr: Giorgio Feitknecht und Sandro Piffaretti sind die beiden Schwergewichte der Schweizer Zuliefererbranche. Die CEO von ESA und Swiss Automotive Group (SAG), trafen sich auf Einladung von AUTOINSIDE zum Gipfeltreffen – und offenbarten viele Gemeinsamkeiten.

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Austausch in Egerkingen: Sandro Piffaretti (links) und Giorgio Feitknecht sind sich in Vielem einig.
 
SCO. Schon die Begrüssung im Mövenpick-Hotel in Egerkingen fällt kollegial, um nicht zu schreiben freundschaftlich, aus. Auf Italienisch begrüssen sich Sandro Piffaretti und Giorgio Feitknecht. Beide verbrachten ihre Jugend im Tessin, Piffaretti in Bellinzona, Feitknecht in Tenero. Beide studierten später an der Universität Fribourg. Heute führen sie die beiden grössten Zulieferer des Schweizer Autogewerbes.
 

Herr Feitknecht, Herr Piffaretti, Sie haben sich gerade sehr herzlich begrüsst. Wie gut kennen Sie sich?
Giorgio Feitknecht: Es gibt einige Parallelen…
Sandro Piffaretti (lacht): Beide im Tessin aufgewachsen, beide Teileverkäufer, beide haben wir unsere Kunden gerne.
Feitknecht: Wir haben viele Gemeinsamkeiten erst im Nachhinein festgestellt. Auch an der Uni waren wir nicht im selben Lehrgang, aber unsere Wege haben sich gekreuzt und uns dann in die gleiche Branche geführt.

Wie oft sehen Sie sich im Jahr?
Piffaretti: Wie viele Messen gibt es? Spass beiseite: Wir sehen uns dreimal im Jahr an Veranstaltungen und heuer viermal wegen dieses Interviews.

Die Verunsicherung im Autogewerbe ist gross. Die Stichworte lauten Digitalisierung, Elektrifizierung, Konnektivität… Wo steht die Autobranche im Jahr 2030?
Feitknecht: Die Stichworte haben Sie gegeben. Was man auch nicht ausser Acht lassen darf, ist der Bevölkerungszuwachs: Das Bundesamt für Statistik rechnet 2030 mit 9,5 Millionen Einwohnern in der Schweiz, also mit einer Million mehr als heute. Wenn die Anzahl Fahrzeuge pro Bewohner stabil bleiben würde, würde das zusätzliche 500 000 Fahrzeuge bedeuten. Andererseits sprechen wir von neuen Mobilitätsformen wie Carsharing. Professor Willi Diez geht davon aus, dass 20 Prozent der im Jahr 2025 verkauften Neuwagen einen Elektro- beziehungsweise Hybridantrieb haben, Tendenz steigend. Wenn wir uns linear bewegen, bedeutet das dann vielleicht 500 000 bis 800 000 Elektro- und Hybridautos im Jahr 2030, also rund 15 Prozent. Ein grosser Wandel ist im Gang, aber das Bedürfnis nach individueller Mobilität wird bleiben.

Arbeiten Sie mit Szenarien?
Piffaretti: Nicht auf zehn oder 15 Jahre hinaus. Wir haben ein Fünf-Jahre-Szenario und das geht immer noch von Benzin und Diesel als marktbeherrschende Energieträger aus. Ich kann nur unterstreichen, was Giorgio gesagt hat: Mobilität ist und bleibt ein Bedürfnis der Menschen. Heute halte ich nicht die Elektromobilität für die grosse Herausforderung der Garagen, sondern die Technologie, die im Auto steckt. Die ganzen Computer, die Assistenzsysteme und Hilfsmittel, die das Auto steuern, die Konnektivität…

Die technische Entwicklung ist rasant. Kann der Garagist auch mittelfristig mit ihr Schritt halten?
Feitknecht: Ich traue den Garagisten enorm viel zu. Sie haben in der Vergangenheit sehr viel geleistet und werden auch diese Hürde meistern. Aber wie immer, wo es Hürden gibt, wird es zu einer gewissen Selektion kommen. Einzelne Garagisten werden diese Hürden nicht nehmen können oder bewusst nicht meistern wollen. Wenn eine Branche den Trend «Mobilitätsdienstleister» vorgibt, bedeutet das nicht, dass alle dorthin müssen. Es gibt für Spezialisten immer auch Nischen und Opportunitäten, die dort wahrgenommen werden können.

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Sandro Piffaretti sieht keine Zukunft für die Halle 7 am Auto-Salon.
 
Piffaretti: Garagisten haben ein riesiges Plus – das Vertrauen des Kunden. In der Vergangenheit haben die Schweizer Garagisten gezeigt, dass sie den Technologiewandel mitmachen können. Immer wichtiger wird auf dem Weg in die Zukunft die Kompetenz in der Elektronik, dafür wird weniger geschweisst und gefeilt. Was aber nicht vergessen gehen darf, sind Qualitäten wie Freundlichkeit oder Service. Und als Klammer des Ganzen steht die Aus- und Weiterbildung.
Feitknecht: Diese Ausbildung hat, wie von Sandro richtig erkannt, zwei Ausprägungen: Da ist einerseits die Digitalisierung der Arbeitsprozesse, andererseits die Kundenbeziehung. Das Auto kann man noch nicht virtuell in die Garage verschieben, das geschieht physisch. Ich vergleiche das gerne mit den Prozessen in Restaurants: Vor fünf Jahren hat man angerufen, um einen Tisch zu reservieren. Heute bucht man via Internet. Das wird im Autogewerbe genau gleich sein: Termin vereinbaren, Anfrage für den Service oder eine Offerte – all diese Prozesse werden vermehrt digitalisiert. Wenn der Kunde mit seinem Wagen aber in der Garage eintrifft, geht es um den Menschen. Das ist eine grosse Herausforderung: Was man bis jetzt getan hat, muss man weiter tun und sich gleichzeitig aufs Neue vorbereiten.

Stichwort Digitalisierung. Die ESA führt Garagino, die SAG ist mit Garage-Finder präsent. Daneben gibt es verschiedene Vergleichsportale, auf denen Kunden Offerten einholen und vergleichen können. Was kommt noch auf den Garagisten zu?
Feitknecht: Es gibt zwei unterschiedliche Ansätze: Auf der einen Seite haben wir diese Vermittlungsplattformen, die den Preisdruck auf die Garagisten weiter erhöhen. Unser Garagino-Ansatz ist ein anderer: Mit garagino.ch stellen wir unseren Mitinhabern eine technische Lösung zur Verfügung, damit diese ihr Angebot digital platzieren können. Das hat mit Reifen angefangen, umfasst heute auch Zubehör und Dienstleistungen. Wenn das Problem komplexer ist und sich nicht digital lösen lässt, kann der Kunde auf garagino.ch auch einen Termin vereinbaren oder eine Offerte einholen.
Piffaretti: Unser Portal garage-finder.ch nimmt technische Angaben auf und hilft bei der Erstellung von Offerten. 2000 Garagen sind angeschlossen. Dazu kommt: garagino.ch und garage-finder.ch sind für die Garagisten kostenlos. Die Vergleichsportale jedoch verlangen Kommissionen. Da stellt sich die Frage, ob für den Garagisten tatsächlich so viel Marge übrig bleibt, dass sich die Teilnahme an einem solchen Portal lohnt.

Mit anderen Worten: Vergleichsportale werden sich im Autogewerbe nicht durchsetzen?
Feitknecht: Sagen wir es so: Wer rein nach Preisen sucht und nicht nach Leistung oder Kundenorientierung, ist kein Kunde, der für den Garagisten unternehmerisch nachhaltig ist.
Piffaretti: Dazu kommt, dass es nur sehr wenige Aktivitäten in einer Garage gibt, die standardisiert sind und einen echten Preisvergleich ermöglichen. Das ist in der Hotellerie anders.

Wie sieht die Garage der Zukunft aus? Wird die Konzentration der Garagenbetriebe zunehmen?
Piffaretti: Das glaube ich nicht. Ein Vorteil der mittelgrossen Garagen ist der persönliche Kontakt zum Kunden. Eine zu grosse Garage wird unpersönlich. Darum glaube ich nicht an die ganz grossen Konstrukte mit einer zentralen Führung und einem Heer von Controllern. Garagen müssen gross genug sein, damit sie investieren können, aber sie müssen persönlich bleiben.
Feitknecht: Es ist wohl kein Zufall, dass Hersteller mit eigenen Verkaufsnetzen, beispielsweise in Deutschland, diese wieder abstossen. Der Garagist als Unternehmer bleibt eine zentrale Figur im Autogewerbe. Und man darf eines nicht vergessen: Das Auto ist das zweitwichtigste Investitionsgut des Schweizers – gleich nach dem Eigenheim – und damit eine tragende Säule unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Ja, die Jungen sind heute etwas weniger affin in solchen Dingen, aber die Mobilität ist und bleibt wichtig, ich bin daher absolut optimistisch für unsere Branche. Es wird anders werden und es wird nicht einfacher. Aber das ist kein Syndrom des Autogewerbes. Das geht allen gleich.

Wir haben jetzt vom Kontakt des Kunden zur Garage gesprochen. Ändert sich auch der Kontakt des Garagisten zum Zulieferer?
Feitknecht: Wie in allen Branchen nimmt die Transparenz zu, die Vergleichbarkeit der Produkte und Leistungen. Und das fördert und fordert uns täglich, damit wir besser werden.
Piffaretti: Der Kontakt findet verstärkt digital statt, aber nicht so, dass es die Menschen nicht mehr braucht. Die Sortimente sind viel breiter und tiefer geworden. Das bedeutet, dass sich die einfachen Anfragen und Bestellungen ins Internet verschieben, dafür gibt es viel mehr Ausnahmen und Problemfälle. Wenn ein Kunde nicht mehr weiter weiss, sucht er einen Menschen als Ansprechpartner. Es ist nicht so, dass die Telefonanrufe per se abnehmen: Die einfachen Beratungstelefonate nehmen ab, die schwierigen zu.

Der Markt ist gesättigt. Ist Wachstum nur noch zulasten der Konkurrenz möglich?
Piffaretti: Es kommt darauf an, von welchem Markt wir reden. Der Reifenmarkt wächst leicht – nur schon aufgrund des Fahrzeugbestands. Dann gibt es neue Produkte, die sehr stark wachsen, im Klimabereich zum Beispiel. Auf der anderen Seite gibt es Bereiche wie den Auspuff, die schon nicht mehr schrumpfen, sondern regelrecht zusammenbrechen. Es braucht heute schlicht keine Auspuffe mehr. Wir von der SAG suchen deshalb auch Wachstumschancen im Ausland.

Expansion ins Ausland ist für die ESA kein Thema?
Feitknecht: Nein. Als Genossenschaft haben wir einen klaren Auftrag: Wir haben uns um unsere Mitinhaber zu kümmern und ihr wirtschaftliches Handeln zu fördern. Deshalb ist das Ausland für uns kein Thema.

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Für Giorgio Feitknecht ist der Salon der Taktgeber für die Fachmesse in der Halle 7.

Reden wir über den Auto-Salon in Genf und die Halle 7, wo Ihre Unternehmen mit Abstand die grössten Aussteller sind. Die SAG hat sich für die Kurzmesse entschieden, die ESA bleibt während der ganzen Dauer des Salons. Wo sehen Sie die Halle 7 in fünf Jahren?
Piffaretti: Die Halle 7 gibt es in fünf Jahren nicht mehr!

Das müssen Sie begründen.
Piffaretti: Schauen Sie: Vor fünf Jahren gab es in der Halle 7 noch 120 Aussteller. 2016 waren es 45 und 2017 trotz Kurzmesse ebenfalls nur 45. Wenn wir es nicht hinbekommen, wieder 100 Aussteller in die Halle 7 zu bringen, dann stellt sich die Sinnfrage. Was ist denn der Sinn einer Messe? Dass sich die Branche trifft! Eine Messe braucht Vielfalt. Wir haben versucht, diese Vielfalt zu steigern, sind aber gescheitert. Schade…

Wie sieht das die ESA?
Feitknecht:
Unser Ansatz ist eigentlich ganz einfach: Als Firma und als Genossenschaft nutzen wir den Salon als Plattform, uns um unsere Mitinhaber zu kümmern und mit ihnen in den Dialog zu treten. Zudem suchen wir den Kontakt zu den Garageninhabern, aber auch zu den Werkstattchefs, den Mechanikern, den Leuten im Verkauf und via MechaniXclub zu den Lernenden. Und diese Leute kommen verteilt über die ganze Salon-Dauer nach Genf. Nun stellt sich die Frage: Würde man alle diese Leute an der Kurzmesse kommunikativ und motivierend betreuen und bedienen können? Wir sagen Nein. Warum? Weil der Salon der Taktgeber ist. Der Vorteil von Genf liegt in der Synergie: Ich nehme mir einen Tag Zeit, kann neue Autos anschauen und Leute aus der Branche treffen. Die Leute entscheiden unabhängig von der Halle 7, wann sie nach Genf kommen. Darum haben wir uns für die gesamte Dauer entschieden.

Was wäre die Alternative zu Genf? Eine Hausmesse, wie sie die SAG seit zwei Jahren veranstaltet?
Piffaretti: Auf keinen Fall. Eine Hausmesse ist keine Branchenmesse. Die Alternative ist eine Messe, die wirklich wieder diese 100 Aussteller hinbekommt. Ich habe volles Verständnis, wenn die ESA sagt, sie wolle ihre Genossenschafter in Genf betreuen, weil diese dort die neuen Autos anschauen und bei der ESA einen Kaffee trinken möchten. Wenn aber die Botschaft lautet: Wir haben eine echte Fachmesse mit Mehrwert, dann braucht es mehr Aussteller. Dann kann eine reine Zulieferermesse die Lösung sein; etwas in der Art der transport-CH, alle zwei Jahre und an einem zentraleren Ort. Gerade aus der Ostschweiz nehmen immer weniger Besucher den Weg nach Genf auf sich.

Wo wollen Sie diese Fachmesse ­durchführen?
Piffaretti:
Meiner Meinung nach bieten sich drei Standorte an: Luzern, Bern und Fribourg.

Die Haltung der ESA?
Feitknecht: Es gibt heute in allen Bereichen ein Überangebot an Möglichkeiten, wo ich mich informieren und Leute treffen kann. Wir glauben, dass Genf den Besuchern die Möglichkeit bietet, viele Themen und Kontakte an einem Tag abzuwickeln. Das ist der grosse Vorteil des Salons, auch wenn Genf nicht für jeden gleich um die Ecke liegt. Ich bin nicht davon überzeugt, dass wir unsere Kunden motivieren könnten, an eine reine Fachmesse zu kommen – auch wenn diese zentral liegen würde.

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Die ESA-Zentrale in Burgdorf.

Wie könnte man die Halle 7 wiederbeleben?
Feitknecht: Man muss das in einem grösseren Rahmen betrachten. Es geht um Automessen allgemein. Wie und in welche Richtung müssen sie sich entwickeln, um attraktiv zu bleiben? In dieser Gesamtbetrachtung wird sich die Frage nach den Zulieferern stellen. Nochmals: Der Anziehungspol des Ganzen ist der Salon. Wir müssen beobachten, wie sich der Salon entwickelt. Daraus werden wir ableiten, welche Rolle in diesem Kontext die Halle 7 spielt.
Piffaretti: Da hat Giorgio einen ganz wichtigen Punkt angesprochen: Messen, die auf Endkonsumenten ausgerichtet sind, durchlaufen schwierige Zeiten. Auch in Genf stellen einige grosse Hersteller nicht mehr aus. Wichtige Hersteller investieren nicht mehr in Messeauftritte, sondern stellen lieber einen Pop-up-Shop an zentraler Lage auf – ob das nun Uhren oder Autos sind. Diese Tendenz sieht man nicht nur in der Schweiz. Das können Sie auch bei den Medien beobachten: Die Publikumsmedien schrumpfen, während Fachmedien wie AUTOINSIDE weiter gut gelesen werden. Das Bedürfnis nach Know-how ist da, darum insistiere ich auf Vielfalt. Ich behaupte, dass Fachmessen eine Chance haben. Aber Vielfalt heisst für mich bedeutend mehr als 40 Aussteller.

Seit 1. Januar 2017 ist Giorgio Feitknecht (51) CEO der ESA. Der Tessiner hat an der Universität Fribourg Betriebswirtschaft studiert und ist eidg. dipl. Logistikleiter. Feitknecht ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern.
Sandro Piffaretti (48) ist CEO und Delegierter des Verwaltungsrates der SAG. Im Jahr 2009 schloss sich Piffarettis Derendinger AG mit den Métraux Services SA zur Swiss Automotive Group zusammen. Der Tessiner hat an der Universität Fribourg Betriebswirtschaft studiert. Piffaretti ist verheiratet.

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