«In der Halle 7 fehlt der Mehrwert für die Garagisten»

Urs Albert Ingold veranstaltet seit mehr als 30 Jahren Fachmessen. Die Absenz verschiedener bedeutender Hersteller ­betrachtet er als Warnsignal. Und auf den neuen Direktor Olivier Rihs warte eine Herkulesaufgabe.
 

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Herr Ingold, der Genfer Auto-Salon findet 2019 ohne Ford, Hyundai, Opel und Volvo statt. Auch die Fachmesse der Zulieferbranche in Halle 7 leidet an Ausstellerschwund. Ist der Salon noch zu retten?
Urs Albert Ingold: Um die Zukunft zu verstehen, muss man die Vergangenheit betrachten. Der Genfer Auto-Salon ist historisch gesehen vor allem eine internationale Medienplattform. Hunderte von Medien, damals noch Tageszeitungen und Hochglanzmagazine sowie TV- und Radio-Stationen aus der ganzen Welt berichteten aus Genf. Ein Highlight für die Branche, die mit den Berichterstattungen einen grossen Teil ihrer Gesamt-PR abdeckte, und das Jahresspektakel für die Konsumenten, die sich dann auf die ersten Modelle und damit verbundene Testfahrten in den Markenvertretungen freuten. Durch Internet und soziale Medien hat die Branche einen medialen Paradigmenwechsel vollzogen. Modelle erscheinen schon lange nicht mehr zu Messeterminen und die PR- und Werbemaschinerie der Branche läuft 24/7. Der Genfer Auto-Salon von heute unterscheidet sich aber kaum vom Genfer Auto-Salon der Vergangenheit.

Was muss der neue Salon-Direktor Olivier Rihs ändern, um den Turnaround zu schaffen?
Olivier Rihs erwartet eine Herkulesaufgabe. Das Fernbleiben bedeutender Marken von einer Messe ist metaphorisch mit einer Gewebeerkrankung zu vergleichen. Der Körper erkrankt zwar nur an einzelnen Stellen, aber gleichzeitig wird der gesamte Kreislauf geschwächt. Wenn grosse Namen nicht mehr an der Messe teilnehmen, sehen das die wenigsten Mitbewerber als Chance für die etwas exklusivere Präsentation ihrer eigenen Marke. Im Gegenteil. Sie überlegen sich, ob sie dem Beispiel nicht folgen sollten. Gleichzeitig fallen Besuchergruppen weg, die sich durch das Fernbleiben der genannten Marken nicht mehr das gleiche Messeerlebnis versprechen. Die Abwärtsspirale dreht sich danach immer schneller. Diesen Tod auf Raten habe ich leider schon oft mitverfolgt: Berühmteste Beispiele sind die Weltleitmesse Telekom in Genf, die ehemals grösste IT-Messe der Schweiz, die Orbit in Basel, und als jüngstes Beispiel, leider wieder in Basel, die Baselworld. Den Turnaround hätte man vor Jahren proaktiv angehen müssen. Wenn Olivier Rihs nun im Februar 2019 seine Stelle antritt, ist 2020 konzeptionell auch bereits gelaufen. Massgebliche Veränderungen wird er also frühestens für 2021 umsetzen können. Bis dahin ist er auf den Goodwill der Branche angewiesen. Er muss von Anfang an die Branche für sich gewinnen und glaubhaft machen, dass er über den notwendigen Ideenreichtum und die Kompetenzen verfügt, um eine an die Wünsche der Branche angepasste Plattform zu schaffen.

Olivier Rihs hatte im Interview mit AUTOINSIDE im Januar gesagt, Europa brauche mittelfristig nicht drei, vier oder fünf Automessen. Eine würde reichen. Sehen Sie das auch so?
Mit solchen Aussagen wäre ich vorsichtig. Wenn dem so ist, dann wäre Genf sicher nicht die erste Wahl für einen einzigen Standort. Aber vielleicht meint Olivier Rihs damit ja auch, dass es nicht drei, vier oder fünf Automessen braucht, die alle mehr oder weniger gleich daherkommen.


 





«Das Fernbleiben bedeutender Marken ist metaphorisch mit einer Gewebeerkrankung zu vergleichen. Der Körper erkrankt zwar nur an einzelnen Stellen, aber der gesamte Kreislauf wird geschwächt.»

 
Nur schon die Präsenz in Genf ist für einen Aussteller sehr teuer. Die Hotellerie verlangt horrende Preise für einfache Zimmer, dazu kommt eine Messedauer von 13 Tagen. Ist das noch zeitgemäss?

Eine Messedauer von 13 Tagen ist ein Relikt vergangener Zeiten. In der Vor-Internetzeit verbrachten Fachbesucher mehrere Tage in Genf, weil dies die einzige Informationsplattform war und, bedingt durch die Grösse, mit zeitlichem Aufwand abgearbeitet werden musste. Durch die digitale Omnipräsenz, mit der 100 Prozent der für Händler oder Käufer wichtigen Informationen nonstop transportiert werden, sollte die Messe eher als Networking-Plattform dienen. Ein Medientag, zwei Fachtage und das Wochenende als Publikumstage wären sicherlich ausreichend. Die Zauberformel würde also heissen: 1+2+2=5. Das hätte einen massiven Einfluss auf die Kosten der Aussteller. Die Hotels müssen einzeln überzeugt werden, dass Mondpreise dem Image der Stadt nicht zuträglich sind und ein komplettes Wegfallen des Auto-Salons nicht im Interesse der Region sein kann. Hier wird Olivier Rihs mit der Politik zusammenspannen müssen.

Die Halle 7 ist in den letzten Jahren von mehr als 100 Ausstellern auf weniger als 50 geschrumpft. Ab 2020 wird die Messe nur noch fünf Tage dauern. Wird sie das retten oder braucht es mehr?
Die Halle 7 ist aus meiner Sicht eine unabhängige eigene Messeveranstaltung, die einzig von der Anwesenheit der Garagisten am Auto-Salon profitiert. Um Aussteller zurückzugewinnen, sollte sie ein eigenes Profil entwickeln und unabhängig werden: eine Networking-Veranstaltung mit eigener originärer DNA, vielleicht mit Standort in Bern, um für die ganze Schweiz erreichbar zu sein.

Was muss Genf ändern, damit wieder mehr Garagisten die Reise in die Romandie auf sich nehmen?
Zu dieser Frage muss ich wohl oder übel das «M-Wort» in den Mund nehmen. Der Mehrwert fehlt. Seit Jahr und Tag gilt: «Same procedure as last year.» Das ist einfach zu wenig in der heutigen hektischen Zeit. Diesen Mehrwert wird die Messe alleine aber nicht erzielen. Sie kann nur den Rahmen vorgeben. Umsetzen müssen dies letztlich die Aussteller. Dem Garagisten muss wieder das Gefühl gegeben werden, dass er etwas verpasst, wenn er der Veranstaltung fernbleibt. Und da es DEN Garagisten an sich nicht gibt, muss auf viele verschiedene Bedürfnisse eingegangen werden. Schlagwörter, die mit Leben gefüllt werden müssen, sind hier: Inhalte, wirtschaftliche Vorteile, Networking, Community und damit verbunden auch eine gute Portion Unterhaltung.

Die Digitalisierung bringt viele Vorteile und Chancen. Für die Messen scheint sie bisher nur Nachteile zu haben. Oder lassen sich Digitalisierung und das Haptische einer Automesse überhaupt verbinden?
Die Fahrzeuge selbst verbinden Digitalisierung und Haptik. Da ist es nur logisch, wenn sich dies in der Automesse fortsetzt. Man muss zwischen der Branche und dem Konsumenten als Autokäufer unterscheiden. Ich rate dem Veranstalter ab, auf eine unverändert analoge Messe noch ein gleich schweres digitales Hardtop zu packen. Das funktioniert nicht. Es gilt die Raffinesse herauszuarbeiten, sodass die Angebotspakete für Aussteller stimmig und kostenvernünftig angeboten werden können. Für die Besucher ist eine andere Art von digitalem und analogem Mix anzubieten. Hier gibt es heute sehr gute Möglichkeiten, die Besucher mit Virtual und Augmented Reality im Vorfeld in Messestimmung zu bringen und den Besuch als Höhepunkt eskalieren zu lassen. Das gleiche gilt für die Zeit nach Messeschluss. Nach der Messe ist vor der Messe. Aber für diesen Paradigmenwechsel müssen einerseits ausgetrampelte Pfade verlassen werden und es braucht unbedingt das Zusammenspiel aller Stakeholder: Veranstalter, Verband, Aussteller, Medien, Besucher und Politik.

2018 war ein schwarzes Jahr für den Messeplatz Schweiz. Publikumsmessen wie die Züspa, die Muba oder der Comptoir Suisse gingen reihenweise ein. War es das mit Messen?
Würden Sie für den Zutritt zu einem Shopping Center Eintritt bezahlen? Damit ist alles gesagt.

Ganz grundsätzlich: Wie sieht eine erfolgreiche Messe in fünf Jahren aus?
Wahrscheinlich nennt man die Messe in fünf Jahren nicht mehr Messe, weil der Begriff zu negativ besetzt ist. Im B2B-Bereich glaube ich an Networking-Plattformen, wo man sich im lockeren Rahmen trifft, um Termine für substanzielle Gespräche entweder beim Anbieter oder beim Abnehmer zu vereinbaren. Ansonsten geht es darum, bestehende Kontakte aufzufrischen und neue Kontakte zu schliessen. Im B2C-Bereich muss mit Erlebnissen gepunktet werden, die besser sind als diejenigen, die der Konsument zu Hause hinter dem Computer erwarten kann. Digital ist bequem, aber nur digital macht einsam. Der Live-Event ist für den Besucher immer ein Aufwand, der sich lohnen muss. Aber noch ist der Mensch ein soziales Wesen und wenn ich als Veranstalter oder Aussteller ihm ein Live-Erlebnis unter Gleichgesinnten ermögliche, wird er diesen Mehraufwand gerne auf sich nehmen.


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